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Erzaehl es niemandem

Erzaehl es niemandem

Titel: Erzaehl es niemandem
Autoren: Randi Crott , Lillian Crott Berthung
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Einwand Bräuers, es
würde Kampf geben und es bestünde keine Aussicht auf Rettung, sagt Koth, »der
Kampf ist schon im Gange.«
    So nimmt der Krieg im Norden seinen Anfang. Trotz des entschiedenen
militärischen Widerstandes der Norweger werden innerhalb der nächsten beiden
Tage alle wichtigen norwegischen Häfen eingenommen. Gleichzeitig wird das
ebenfalls neutrale Dänemark von deutschen Land- und Marinetruppen nahezu
kampflos besetzt.

Ab jetzt sprechen wir nur noch Norwegisch
    Sommer 1960
     
    Mir wurde immer übel auf den langen Reisen nach Harstad.
3000 Kilometer.
    Ich, das Kind hinten auf der Rückbank. Meistens sind wir über
Schweden nach Norden gefahren, erst mit dem VW Käfer, dann mit dem Ford und
später mit dem hellblauen Mercedes. Insofern wurde es immer komfortabler. Aber
ich hasste diese lange Strecke, auf deren erstem Teil die Fahrt mit der Autofähre
für mich noch das Spannendste war. Einiges war allerdings merkwürdig. Sobald
wir die Fähre hinter uns hatten, stellte mein Vater das Auto immer ein paar
Straßen weiter ab, wenn wir in irgendeinem Restaurant essen gehen wollten. Und
die Anweisung »Ab jetzt sprechen wir nur noch Norwegisch!« fand ich damals ziemlich
komisch.
    Auch wenn die Straßen durch Norwegen in viel schlechterem Zustand
waren als die Parallelstrecke durch Schweden, machten wir den zweiten Teil der
Reise meist über die kurvenreichen, holprigen norwegischen Schotterstraßen.
Dafür aber, wie meine Eltern fanden, durch unvergleichliche Landschaften. Keine
endlosen Geradeaus-Fahrten durch die immer gleichen schwedischen Wälder.
    Oslo, Lillehammer, Steinkjer, Fauske – so hießen die Stationen
unserer Strecke, an denen wir übernachteten. Zu der sich verlässlich
einstellenden Übelkeit kam später auf den Norwegen-Fahrten bei mir ein Gefühl
von Traurigkeit und Einsamkeit dazu. Ich wäre mit 15 doch tausendmal lieber
nach Italien oder an die Ostsee gefahren. Dort, wo das Leben war. Und meine
Freundinnen aus der Schule. Stattdessen hockte ich 1967 in einem Hotel in einer
verlassenen Gegend irgendwo bei Steinkjer, überließ mich einer depressiven
Stimmung, dem Kassettenrekorder und Eleanor Rigby von den Beatles.
    Abbildung 4
     
    Vorsichtig löse ich ein Bild aus dem Fotoalbum, in das ich
mich schon den ganzen Nachmittag vertieft habe, weil ich in eine andere Zeit
eintauchen will. Das Bild stammt aus dem Jahr 1960. Das Foto muss am vierten
Reisetag aufgenommen worden sein, denn dann hatten wir immer diese besondere
Stelle an der Europastraße 6 von Mo i Rana nach Narvik erreicht. Hier, inmitten
einer kargen Steinlandschaft, liegt der Polarkreis, und von hier aus ist es nur
noch ein Reisetag bis Harstad. Deshalb blicke ich in meiner hellgrauen Hose und
meinem roten Anorak wohl auch irgendwie erleichtert in die Kamera. Ich rechne
nach: Ja, ich bin acht Jahre alt. Rechts von mir steht mein Vater in einer
Blouson-Wildlederjacke, aus der ein Hemdkragen ragt, der genauso grau ist wie
seine Haare. Die Hand meines Vaters liegt auf meiner Schulter. Links von uns
dieser Sockel aus hellem Stein, darauf das quaderförmige Polarkreis-Denkmal mit
dem stilisierten Globus aus dunklem Metall. Die Norweger nennen diese Stelle am
66. Breitengrad »Polarcirkel«, und so steht es auch auf dem Stein. Zusammen mit
zwei Jahreszahlen: 1937 und 1940. Zwischen den Ziffern 19 und 40 gibt es einen
weißen Fleck. Ich sehe ihn noch ganz deutlich auf der blass gewordenen
Fotografie.
    Abbildung 5
     
    Heute weiß ich: Hier war einmal ein Hakenkreuz eingeritzt.
In einem Buch mit dem Titel »Kampf um Norwegen«, herausgegeben vom Oberkommando
der Wehrmacht, schildern Soldaten ihre Erlebnisse in Norwegen 1940:
     
    Steil steigt die Straße durch enge Täler an,
bis wir ein Hochplateau erreichen. Weit und breit ist kein Baum oder Strauch zu
sehen. An einer Biegung treffen wir auf einen großen Stein, auf dem eine
Erdkugel befestigt ist. In der Erdkugel ist der Polarzirkel eingelassen. Es ist
ein geschichtlicher Augenblick: Wir überschreiten als deutsche Soldaten den
Polarkreis. Einige Jäger haben sofort Hammer und Meißel herangeholt und graben
ein großes Hakenkreuz in den Stein. 8
     
    Am Tag vor der Ankunft in Harstad war ich immer voller Vorfreude
und Aufregung. Ich wusste, morgen, wenn wir endlich in der Halvdansgate
ankamen, würden alle da sein: Mein Großvater, Onkel Bjørn, Tante Alfhild, Onkel
John, Tante Åshild, Tante Pus, meine Cousine May und Rolv, mein Cousin. Es würde
ein Abendessen
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