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Enwor 7 - Das schweigende Netz

Enwor 7 - Das schweigende Netz

Titel: Enwor 7 - Das schweigende Netz
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er konnte spüren, wie sein Bewußtsein aus dem Irgendwo zurückkehrte und wieder in seinen Körper schlüpfte, wie in eine für kurze Zeit abgelegte Hülle und wie sein Herz wieder zu schlagen und auch alle die Organe wieder zu arbeiten begannen, denn er war tot gewesen, für Augenblicke. Aber der Gedanke hatte nichts Erschreckendes an sich. Skar war nicht sicher, ob ihn jemals wieder etwas erschrecken konnte, nach dem, was er jetzt wußte.
    Er öffnete die Augen, und das erste, was er sah, war Kiinas Gesicht, fassungslos und von einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben erfüllt, die ein warmes, wohltuendes Gefühl der Dankbarkeit in ihm wachrief. Er hatte niemals gewußt, was es wirklich bedeutete, eine Menschen zu haben, der sich um einen sorgte.
    Aber hatte er überhaupt etwas gewußt —
vorher?
    Skar setzte sich auf; es ging ganz leicht, er fühlte keine Benommenheit, keine Schwäche, keinen Schmerz, ganz im Gegenteil —
    auf eine schwer zu beschreibende
menschliche
Art fühlte er sich stark und ausgeruht wie selten zuvor.
    »Skar?!« Kiinas Stimme zitterte. Für einen ganz kurzen Moment wurde die Angst darin fast übermächtig und vertrieb die Erleichterung. »Du... du
lebst?«
    Ja, er lebte. Er begriff es selbst noch nicht wirklich — das hieß, er tat es schon, aber in ihm war so viel Neues, ein so tiefes, schreckliches Wissen, daß er einfach Zeit brauchte, um all dies zu verarbeiten.
    »Was ist passiert?« fragte Kiina. »Skar, was —«
    »Später.« Er bedeutete ihr mit einer angedeuteten Geste zu schweigen und sah sich um. Sein Blick suchte den Thron und das
Ding,
das darauf gesessen hatte.
    Es war tot. Er hatte es schon vorher gewußt, aber der Anblick erleichterte ihn trotzdem ungemein, und sekundenlang tat er nichts anderes, als einfach dazusitzen und die zerfallene Kreatur anzustarren. Das Netz war noch immer da, aber seine armdicken Taue waren grau geworden und begannen zu zerbröckeln, hier wie überall in der Festung, und zum ersten Mal überhaupt konnte er das Wesen in seinem Zentrum wirklich erkennen. Es war noch immer groß, und es war noch immer häßlich, aber der Tod hatte ihm seine entsetzliche Fremdartigkeit genommen —Skar sah nur noch einen aufgedunsenen, verquollenen Balg voller Narben und Geschwüre, ein verunstaltetes Ding mit zahllosen Mündern und Armen und Klauen, das nicht mehr bedrohlich wirkte, sondern einfach nur noch ekelerregend, wie eine große plumpe häßliche Spinne, die keine Giftzähne mehr hatte. Es zerfiel bereits.
    Neben ihm ertönte ein mühsames Stöhnen. Skar wandte sich um, blickte einen Moment lang auf Del herunter und versuchte zu lächeln, als sich seine Augen öffneten. Es gelang ihm nicht. Vielleicht würde er nie wieder lachen können. Er spürte, daß sich etwas in ihm verändert hatte. Durch das Wissen, mit dem ihn die Verschmelzung mit
seinem
Geist erfüllt hatte, war etwas in ihm verbrannt. Ein Teil seiner Seele war zu hartem, schwarzem Narbengewebe geworden, aber er wußte noch nicht, wie groß dieser Teil war und ob er sich jemals wieder regenerieren würde. Del hob langsam die Hände, starrte sie eine lange Zeit an und richtete sich dann ebenfalls auf. Auf seinem Gesicht und seinen Händen waren eine Anzahl winziger roter Punkte zurückgeblieben, wie Insektenstiche, aus denen nur ein einzelner Blutstropfen quoll, und in seinem Haar klebte noch ein Rest der feinen schwarzen Masse, schon tot, aber noch nicht ganz zerfallen.
    Dann erkannte er Skar, und seine Augen weiteten sich erschrok-ken. Und wie Kiina zuvor brauchte er Sekunden, bis er reden konnte.
    »Was ... was ist...» Er brach ab, hob verwirrt die Hände ans Gesicht und tastete über seine Haut, befühlte mit spitzen Fingern sein Kinn, seinen Mund, die Wangen und Augen.
    »Es ist tot«, sagte Skar leise.
    »Tot?« Del starrte ihn an und begann zu stammeln. »Tot, sagst du. Aber wie... wieso ...« Ein neuer, noch tieferer Schrecken glomm in seinen Augen auf. »Du hast es besiegt«, flüsterte er. Skar war nicht sicher, ob es wirklich so gewesen war — vielleicht hatte es sich letztendlich selbst vernichtet, wie ein Feuer, das seine eigene Lebensgrundlage verzehrte. Aber er erwiderte nichts auf Dels Worte. Noch nicht. Es spielte keine Rolle, wie es gewesen war, jedenfalls nicht in diesem Moment. Es war besiegt, das allein zählte. So wie Del und er wieder frei waren, zerfiel es jetzt überall in der zyklopischen Festung und gab seine Opfer frei.
    Er stand auf, streckte die Hand aus
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