Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt
Autoren: Claude Anet
Vom Netzwerk:
am Waldesrand.
    Dieses faßte No ins Auge. Es hatte einen breiten
Hals, einen starken Kopf und schon langes Haar. Es glich in jeder
Beziehung dem Pferde, das in der Grotte abgebildet war, und das freute
No. Mehr am Boden kriechend als gehend, Schritt für Schritt,
Zoll um Zoll, arbeitete No sich heran. Aber er war noch zu weit
entfernt. Er mußte Geduld haben und einen günstigen
Zufall abwarten ... Die Ereignisse kamen ihm zu Hilfe. Der Himmel hatte
sich verfinstert. Eine schwere, schwarze Wolke entlud sich
plötzlich. Hagel prasselte nieder. Das erschreckte Fohlen
drängte schutzsuchend unter eine Eiche.
    Das Getöse des auf die Blätter
niederschlagenden Hagels erlaubte No, sich noch einige Schritte zu
nähern. Geschmeidig faßte er den zusammengerollten
Riemen, an dessen Ende ein runder Stein hing. So wenig
Geräusch er auch machte, das Fohlen wurde doch unruhig und
wandte den Kopf. Aber schon war No auf den Beinen und sprang vor. Die
Leine pfiff durch die Luft und wickelte sich um die Hinterbeine des
Tieres, das niederfiel. Die Herde stob auseinander und dachte nicht
daran, dem Gefährten zu helfen.
    No lief zu seiner Beute. Verzweifelt versuchte das Tier, seine
Fesseln zu zerreißen. Mit Hilfe eines zweiten Riemens band er
ihm auch die Vorderfüße. Nach langem, vergeblichem
Widerstand streckte das schöne Füllen
erschöpft seinen Hals auf den Boden und rührte sich
nicht mehr. Seine schweißbedeckten Flanken zitterten noch, und
seine weitgeöffneten Augen waren voll Entsetzen.
    No betrachtete es. Das war kein besiegter Feind, den er vor
sich hatte. Dieses Pferd, das einer Rasse angehörte, die
bisher dem Menschen feindlich war, und ihn seit Ewigkeit geflohen
hatte, würde dank der Unterweisung einer
unvergeßlichen Nacht gezähmt werden. Sie
würden einer neben dem anderen leben, immer ... Nos Herz war
vor Freude geschwellt. In letzter Stunde würde er sein
gedemütigtes, beleidigtes Volk vor dem Untergang bewahren.
    Geräuschlos hockte er neben dem Füllen
nieder, das keinerlei Versuch mehr machte, sich aufzurichten.
    Zwischen den Zähnen pfeifend, um das Fiebern des
Tieres zu besänftigen, das morgen sein Gefährte sein
würde, liebkoste No mit Zärtlichkeit den
schweratmenden Hals des Füllens. Er mußte es sich
noch günstig stimmen, indem er ihm von dem Gras zu fressen
gab, das am Vortage von dem Hüter der heiligen Pferde bereitet
worden war.
    Er hielt es ihm hin.
    Das Fohlen verweigerte es zu berühren.
    No aber ließ seine Hoffnung nicht sinken. Er
würde bleiben, solange es nötig war.
    Die Dunkelheit war hereingebrochen. Kalte, schwarze Nacht
umhüllte Pferd und Mensch, dieses seltsame Paar, das hier
Seite an Seite ruhte. No hatte seine Hand auf den Hals des Tieres
gelegt und fühlte das stürmische Blut unter seinen
Fingern hämmern. Es war ihm, als vermengten sich durch diese
Berührung ihre beiden Leben, als müßten sie
morgen bei Tagesanbruch Freunde geworden sein, um einander niemals mehr
zu verlassen. Und wieviele Tiere hatte er doch schon in seinem Leben
getötet, die gleich diesem gewesen waren, neben dem er jetzt
wie ein Bruder wachte. Aber wie sollte er mit dem Schlag eines Steines
diese Haut zerschneiden, die sich schon vertrauend an ihn lehnte?
    Entrückt durch seine Träumereien blieb No
unempfindlich gegen die beißende Kälte. Er
hörte auch das zögernde Heranschleichen einer
Hyäne nicht, die ganz nahe zu ihnen kam, um Witterung zu
nehmen. Als sie erkannt hatte, daß sie noch lebten, zog sie
sich geräuschlos zurück. Ob die Zeit schnell oder
langsam verging, No wußte es nicht.
    Ein grauer, regnerischer Morgen fand sie beide unbeweglich;
das Füllen vom fortgesetzten Widerstand erschöpft, No
erstarrt durch die eisige Feuchtigkeit. Er erhob sich und riß
einige Büschel Gras aus. Er mengte den magischen Halm unter
sie und hielt dem atemlosen Pferd den Bund hin.
    Das Fohlen nahm die Nahrung, die No ihm bot.
    No zitterte vor innerer Bewegung. Die Eroberung des Pferdes
war jetzt gesichert. Er kniete nieder, und über die
weitgeöffneten Nüstern des halbgezähmten
Tieres gebeugt, flüsterte er unermüdlich die Worte,
die der Weise während der Nacht neben der Höhle des
Stammvaters gesprochen hatte. Er sah diese lebendigen Worte mit seinem
Atem in das Tiefste des vor ihm ausgestreckten Körpers dringen
und den Geist unterjochen, der in ihm wohnte.
    Erschöpft schwieg er endlich.
    Das Fohlen hob den Kopf, aber ohne Zorn.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher