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Eiswein (German Edition)

Eiswein (German Edition)

Titel: Eiswein (German Edition)
Autoren: Carmen Mayer
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Überzeugung, nichts von Christoph zu hören oder zu lesen, fast alle fünf Minuten vergeblich auf ihr Handy und in ihre Mailbox schaute, machte sie schließlich so fertig, dass sie gegen Abend ihr Restaurant aufsuchte und sich als Gast im eigenen Hause bedienen ließ.
    Karl schaute stirnrunzelnd auf sie herab, als sie ihn an den Tisch winkte.
    »Was war?«, fragte er nach einem besorgten Blick auf ihre geröteten Augen.
    »Wir haben uns gestritten«, log Julia. »Da bin ich wieder gefahren. Und jetzt mag ich einen Spaziergang machen. Leihst du mir deinen Hund?«
    »Gustl? Ja klar. Der alte Herr freut sich, wenn er noch eine Runde raus kommt heute Abend.«
    Bei einem Blick in sein Gesicht wäre ihr sicherlich nicht entgangen, dass er nur mühsam seine Wut über ihre Blindheit diesem Mann gegenüber unterdrückte. Aber sie schaute ihn nicht an.
    Die frische Luft tat Julia gut. Sie steuerte zielstrebig den Weg an, der hinter dem Hotelparkplatz zum angrenzenden Wald und später um den See herumführte, der sich hinter der ehemaligen Mühle erstreckte.
    Es war Anfang September, die Luft war noch angenehm warm und klar, der nahende Herbst kaum spürbar. Trotz der bereits anbrechenden Dämmerung konnte Julia ohne Jacke, nur mit einem kurzärmeligen T-Shirt und einer leichten Baumwollhose bekleidet, ihren geplanten Spaziergang genießen.
    Als sie ein Stück in den Wald hineingegangen war, nahm sie den zotteligen alten Mischling an die Leine und begann, mit ihm zu reden. Es tat gut, ihre Gedanken laut auszusprechen und sich selber dabei zuzuhören. Irgendwann merkte sie, dass sie sich eigentlich mit Christoph unterhielt, und musste trotz allem laut lachen.
    Den verborgenen Platz am Seeufer, den sie nach einer knappen halben Stunde erreichten, konnte man vom Weg aus nicht einsehen. Julia liebte diese Stelle, seitdem ihr Vater sie zum ersten Mal hierher mitgenommen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Die Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit, an einen Vater, den sie vergöttert hatte, ließ sie ruhiger werden.
    Der Waldsee wurde von einem kleinen, munteren Bach gespeist, der bis vor fast einem Jahrhundert das Rad der Alten Mühle angetrieben hatte. Julias Großeltern hatten in den Dreißigern das lange Zeit leerstehende Anwesen gekauft, zunächst in einen Gasthof, und später in ein Hotel umgebaut. Dabei blieb allerdings das wunderschöne Mühlrad auf der Strecke, das niemand mehr reparieren konnte oder wollte. Julia bedauerte das bis heute. Sie hätte das Rad gerne als Attraktion an der Rückseite ihres Hotels gehabt. Aber es war einfach zu teuer, ein neues anfertigen und anbringen zu lassen. Die Renovierung des alten Fachwerkhauses hatte bereits eine Unsumme verschlungen, mehr konnte sie momentan nicht investieren. Aber irgendwann …
    Julia klickte den Karabinerhaken an Gustls Halsband los, als sie ihre Lieblingsstelle erreicht hatte. Der Hund lief ein paar Schritte ins Wasser hinein, um ein wenig davon zu schlabbern. Dann kam er zu ihr und legte sich neben sie in den kühlen Sand. Sanfte Wellen leckten ein paar Meter weiter an den Kieselsteinen, die den schmalen Sandstreifen vom Wasser trennten, und Julia genoss es, sich beim Zuschauen weiter zu entspannen.
    »Weißt du was?«, fragte sie plötzlich leise und kraulte Gustl hinter den Ohren. »Ich gehe baden.«
    Eilig zog sie ihre Kleider aus, legte sie neben den Hund auf den Boden, und stieg vorsichtig ins Wasser. Es war ziemlich kalt, aber das war es, was sie jetzt brauchte: Eine eiskalte Ernüchterung.
    Gustl sah ihr nach, als sie langsam, Schritt für Schritt in den See ging, mit einem Aufschrei kurz untertauchte und dann zu ihm ans Ufer zurück kam.
    »Scheiße, ich hab ja nichts dabei, um mich abzutrocknen«, stellte Julia lachend fest und begann, mit zitternden Händen ihre Kleider aufzusammeln. Mit ihrem T-Shirt wischte sie über ihren Körper, legte es sich nach kurzem Nachdenken zusammen mit Hose und Unterwäsche über die Schulter und schlüpfte in ihre Turnschuhe.
    »Mir ist jetzt nach was total Verrücktem zumute«, erklärte sie dem Hund und befand sich bereits auf dem ausgetretenen Wildwechsel, der zwischen See und Waldweg verlief. »Ich werde mich trockenlaufen. Hier kommt jetzt sowieso niemand mehr vorbei, und wenn, ist es mir auch egal.«
    Gustl trabte neben ihr her den Weg entlang, der sie zunächst ein Stückchen vom Hotel weg, und nach einer Gabelung in großem Bogen wieder zu ihm zurückführte.
    »Ich sag dir, das hat jetzt gut getan.
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