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Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Titel: Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
Autoren: Nicola Förg
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sich, die Gattin und drei Enkel. Für eine ganze Woche und einen Skilehrer für die lieben Kleinen gleich dazu. Sie hatte das immer abgelehnt und sich damit wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?« »Natürlich weiß ich das. Aber ich weiß nicht, wer Ihre Frau ist und Ihre Enkel. Und für wen schreiben die so?«
    Dann gab’s noch jene, die selbst gebastelte Business-Karten hatten, Empfehlungsschreiben von Medien, die es vielleicht am Mars gab, aber sicher nicht im weiten Erdenrund. Wer doch alles Journalist war! Solche Abzocker waren ihr seit ihrem Dienstantritt in Kaltenberg schon so viele vorgekommen, dass sie aufgehört hatte zu zählen. Und die der zweiten Fraktion auch! Heute früh hatte eine Frau vom Fernsehen angerufen – das sowieso schon ein atemberaubendes Kontingent an Karten hatte – und ihr eine Rührnummer abgeliefert von Karten, die sie in ihrem Fach hatte liegen lassen und die während ihres Mauritius-Urlaubs abhanden gekommen waren. Die sie nun wiederhaben wollte. Mauritius! Himmel, Mädchen – Jo hatte die Frau, eine bekannte Moderatorin, vor Augen – kauf dir halt welche! Bei dem Gehalt! Aber das sagte sie natürlich nicht, sondern berief sich auf »Total ausverkauft, keine Kontingente mehr, untröstlich!« Was für ein Affentanz, wieso hatte sie nichts G’scheits gelernt? Journalismus und dann PR im Tourismus, wie blöd musste man sein, sich ausgerechnet das anzutun?

Weilheim
    Gerhard schnaufte. So richtig. Dann sah er auf die Uhr. Fünfundvierzig Minuten hatte er gebraucht. Keine Spitzenleistung, aber ganz ordentlich auf seine alten Tage. Er holte sich in der Hütte ein Weißbier und Debreziner, dann ließ er sich auf der Terrasse nieder. Die Bänke waren feucht, aber es regnete gerade mal nicht an diesem Mittwochmorgen. Augenblicklich erhob sich ein Vogel aus den dunklen Tannen, landete auf der Brüstung vor Gerhard und beäugte vorwurfsvoll aus dunklen Knopfaugen Gerhards Brot. Er popelte ein paar Krumen raus und legte sie ans Tischende. Zack, weg waren sie. Gerhard lächelte und nahm einen tiefen Zug aus seinem Weißbierglas. Solche Tage gönnte er sich viel zu selten.
    Er wohnte schließlich dort, wo andere Urlaub machten. Ein blöder Satz. Aber doch ein Satz, der sich eingeprägt hatte, den man automatisch verwendete. So wie Tempo für jedes Schnupftuch. Wie Uhu für jeden Kleber. Sein Handy hatte nun eine neue Melodie: Eine Insel mit zwei Bergen … Er verfluchte sich dafür, dass er es angelassen hatte.
    »Weinzirl, Ende des freien Tages. Männliche Leiche in Peißenberg.«
    Es war Baier, sein Kollege, der alte Haudegen, dessen Sätze stets so prägnant waren, dass er kaum Verben benötigte. Baier, dessen bärbeißige Art Gerhard in der kurzen Zeit zu schätzen gelernt hatte. »Ach nein, Baier, nicht jetzt.«
    »Schlechtes Timing, Weinzirl, oder was? Wo sind Sie?«
    »Ich sitze auf der Terrasse der Hörnle-Hütte. Ein bisschen werden Sie sich gedulden müssen. Außerdem ist dann meine neue Freundin sicher enttäuscht.«
    »Sie und Ihre Weiber, Weinzirl! Welche neue Freundin? Dachte, Sie sind noch immer bei unserer lieben Frau Kassandra, der wild gelockten Schamanin, engagiert.«
    »Baier! Ich bin ein treuer Allgäuer, das wissen Sie doch. Es handelt sich hier nur um einen Vogel. Keine Ahnung. Ein Adler eher auch nicht. Kein Flamingo. Ein Spatz ist es auch keiner. Den würde ich erkennen. Dann beißt es bei mir zoologisch aus. Es ist was Größeres.«
    »Ist tatsächlich ein Weibchen. Ein Eichelhäher-Weibchen. Die sind ganz unauffällig gefärbt«, brummte Baier.
    »Und woher wissen Sie bitte schön aus der Ferne, dass das ein Eichelhäher-Weibchen ist? Sind Sie Hellseher, Baier?«
    »Ist das Maskottchen der Hütte. Hüpft da immer rum. Bin auch ab und zu auf dem Hearndl. Schafft so ein alter Knochen wie ich auch noch. Oder ich nehm den Lift. Wie lange haben Sie gebraucht, Weinzirl?«
    »Fünfundvierzig Minuten.«
    »Na, ihr Allgäuer habt ja auch ein Gemsen-Gen. Also trennen Sie sich, mein Lieber. Von Flora, Fauna und der Vogeldame. Die findet ein neues Opfer. Verfressenes Weib. Fahren Sie zur Bräuwastlhalle. Hurtig zu Tale, Weinzirl.«
    Immerhin, einen halben Tag lang hatte er sich der schönen Illusion von Freizeit hingegeben. Immerhin hatte er einen Berg »bezwungen«, und nun würde er eben wieder absteigen ins Tal. Langsam würde er gehen, irgendwie nagte der Zahn der Zeit an seinen Knie. Tot war der Mann ja eh schon. Der würde warten
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