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Eine schwimmende Stadt

Eine schwimmende Stadt

Titel: Eine schwimmende Stadt
Autoren: Jules Verne
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Gott! allmächtiger Gott! wo bin ich?« preßte sie endlich heraus; sie schien zu fühlen, daß sie nicht allein sei, und als sie sich halb umwandte, war eine sichtbare Veränderung mit ihr vorgegangen, ihre Augen hatten einen klaren, lebhaften Blick bekommen. Fabian stand stumm und tief ergriffen vor ihr und breitete ihr die Arme entgegen.
    »Fabian! Fabian!« rief sie plötzlich aus.
    Ellen war ohnmächtig geworden, und Mac Elwin fing sie in seinen Armen auf; aber er hielt sie für todt und schrie laut auf vor Schrecken und Schmerz.
    Aber schon war der Doctor hinzugetreten und sagte beruhigend:
    »Es ist eine Krisis eingetreten, diese Ohnmacht kann zu ihrer Rettung führen!«
    Ellen wurde nun nach Clifton-House und auf ihr Lager gebracht, wo sie bald aus ihrer Ohnmacht in friedlichen Schlummer sank.
    Fabian hatte durch den Doctor neue Hoffnung und frischen Muth bekommen. Ellen hatte ihn jetzt unzweifelhaft erkannt. – Bald kehrte er zurück und rief uns entgegen:
    »Wir werden sie retten! jeden Tag beobachte ich, wie ihre Seele neu aufersteht, und jetzt scheint die Zeit der Heilung gekommen zu sein; morgen, vielleicht heute schon werde ich meine Ellen wieder haben; ach, Gott sei gelobt! – Wir werden hier noch so lange bleiben, wie es für ihren Zustand irgend dienlich ist, nicht wahr, Archibald?«
    Der Hauptmann drückte Fabian an seine Brust; dann wandte sich mein Freund zu mir und Pitferge, und begrüßte uns mit herzlichen, jubelnden Worten; die Hoffnung leuchtete aus seinem Wesen, seiner Stimme, seinen Augen – er war wie verwandelt vor Glück und Lebensmuth. Und seine Hoffnung war nicht vergebens, Ellen’s Genesung stand wirklich nahe bevor …
    Aber unsere Zeit drängte, wir mußten abreisen. Kaum blieb uns eine Stunde über, wenn wir Niagara-Falls noch erreichen wollten. Als wir uns von den lieben Freunden trennten, lag Ellen immer noch in tiefem, sanftem Schlaf, aber Corsican versprach, uns baldige Nachricht über ihr Ergehen zukommen zu lassen. Er war tief bewegt, als wir von einander Abschied nahmen; Fabian umarmte uns noch einmal, und um 12 Uhr hatten wir Clifton-House verlassen.
Neununddreißigstes Capitel.
Der Ingenieur. – Rückfahrt nach New-York. – Dean Pitferge abermals auf dem Great-Eastern. – Das Telegramm. – In der Studirstube.
    Wenige Minuten später stiegen wir auf einer sehr langen Treppe nach der canadischen Küste herab und kamen so zum Ufer des Flusses, das von Eisblöcken ganz belagert war. Hier erwartete uns ein Boot, in dem wir »nach Amerika« übersetzten. Als wir einstiegen, hatte bereits ein Reisender in dem Fahrzeuge Platz genommen, es war ein Ingenieur aus Kentucky, der dem stets theilnehmenden Pitferge bald seinen Namen und sonstige Verhältnisse anvertraut hatte. Wir schifften uns ohne Zeitverlust ein und kamen bald unter mancherlei Collisionen mit den Eisschollen bis in die Mitte des Flusses, von wo wir dem herrlichen Niagarafall noch einen letzten Scheideblick zuwarfen.
    Unser Reisegefährte beobachtete den Katarakt gleichfalls mit aufmerksamem Auge.
    »Nicht wahr, mein Herr, das ist schön, bewunderungswürdig schön? fragte ich ihn.
    – Ja, lautete seine Antwort, aber welch ungemessene mechanische Kraft wird hier unnütz vergeudet, was für eine enorme Mühle ließe sich mit diesem Fall in Bewegung setzen!«
    Nie bis zu dieser Stunde hatte ich so unbezwingliche Lust verspürt, einen Ingenieur in’s Wasser zu werfen.
    Als wir am andern Ufer angekommen waren, hißte uns eine verticale kleine Eisenbahn, die durch einen Seitenstrang von dem amerikanischen Fall her in Bewegung gesetzt wurde, in wenigen Secunden auf die Anhöhe. Um halb zwei Uhr fuhren wir mit dem Courierzuge ab, der uns um ein Viertel auf Drei in Buffalo absetzte, wir statteten dieser jungen Großstadt einen flüchtigen Besuch ab, kosteten das Wasser des Erie-Sees und fuhren um sechs Uhr Abends mit der New-York-Centralbahn weiter. Als wir am folgenden Morgen die bequemen Schlafstätten des »Sleeping-Car« verließen, waren wir bereits in Albany, und die Hudson-Eisenbahn, die sich wasserpaß längs dem linken Flußufer hinzieht, brachte uns einige Stunden später nach New-York.
    Am folgenden Tage, den 15. April, durchstreifte ich in Gesellschaft meines unermüdlichen Führers die Stadt und sah mir den East-River und Brooklyn an; erst als der Abend herannahte, trennte ich mich von dem braven Doctor, und als ich ihm zum letzten Mal die Hand drückte, hatte ich das Gefühl, als scheide ich von einem
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