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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Autoren: Yuval Noah Harari
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menschliche Eigenheit ist der aufrechte Gang. Auf zwei Beinen stehend konnten unsere Vorfahren in der Savanne besser nach Futter oder Feinden Ausschau halten. Und die Arme, die nun nicht mehr zur Fortbewegung gebraucht wurden, ließen sich zu anderen Zwecken nutzen, etwa um Steine zu werfen oder Zeichen zu geben.
    Nachdem die Hände durch den zweibeinigen Gang frei geworden waren, ließen sie sich zu allen möglichen Tätigkeiten verwenden. Je mehr sie bewerkstelligen konnten, umso erfolgreicher wurden ihre Besitzer, weshalb die Evolution eine zunehmende Konzentration von Nerven und fein aufeinander abgestimmten Muskeln in Händen und Fingern förderte. So kommt es, dass wir mit unseren Händen filigranste Tätigkeiten ausführen können. Vor allem können wir komplizierte Werkzeuge herstellen und benutzen. Die ältesten Hinweise auf den Gebrauch von Werkzeugen reichen 2,5 Millionen Jahre zurück, und wenn Archäologen einen neuen Fund machen, sind Spuren ihrer Herstellung und Verwendung ein entscheidender Hinweis, dass es sich tatsächlich um frühe Menschen handelt.
    Aber auch der aufrechte Gang hatte seine zwei Seiten. Unsere äffischen Vorfahren hatten über Jahrmillionen hinweg ein Skelett entwickelt, das für den Gang auf vier Beinen ausgelegt war und nur einen relativ leichten Kopf zu tragen hatte. Die Umstellung zum aufrechten Gang stellte eine beachtliche Herausforderung dar, zumal das Gestell einen immer schwereren Schädel tragen musste. Der Preis für die bessere Sicht und fleißige Hände waren Rückenschmerzen und steife Hälse.
    Die Menschenweibchen kam die Umstellung noch teurer zu stehen. Der aufrechte Gang verlangte schmalere Hüften und damit einen engeren Geburtskanal – und das obwohl gleichzeitig die Köpfe der Säuglinge immer größer wurden. Daher liefen sie zunehmend Gefahr, die Geburt ihres Nachwuchses nicht zu überleben. Die Weibchen, die ihre Jungen zu einem früheren Zeitpunkt zur Welt brachten, als der Kopf noch verhältnismäßig klein und formbar war, überlebten eher und bekamen mehr Nachwuchs. Auf diese Weise sorgte ein Prozess der natürlichen Auslese dafür, dass die Kinder immer früher geboren wurden. Im Vergleich zu anderen Tieren sind menschliche Säuglinge Frühgeburten: Sie kommen halbfertig zur Welt, wenn überlebenswichtige Systeme noch unterentwickelt sind. Ein Fohlen steht kurz nach der Geburt auf eigenen Beinen, und ein Katzenjunges fängt im Alter von wenigen Wochen an, seine Umwelt zu erkunden. Menschenjunge sind dagegen bei Geburt völlig hilflos und müssen von ihren Eltern über Jahre hinweg ernährt, beschützt und aufgezogen werden.
    Dieser Tatsache verdankt die Menschheit ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber auch viele der für sie typischen Schwierigkeiten. Alleinerziehende Mütter sind kaum in der Lage, die Nahrung für sich und ihren Nachwuchs heranzuschaffen, während sie ihre quäkenden Kinder im Schlepptau haben. Die Aufzucht der Sprösslinge erfordert konstante Unterstützung von Verwandten und Nachbarn. Zur Erziehung eines Kindes ist ein ganzer Stamm erforderlich. Daher hat die Evolution diejenigen bevorzugt, die in der Lage waren, starke soziale Beziehungen einzugehen. Da Menschen in einem frühen Entwicklungsstadium geboren werden, sind sie außerdem formbarer als alle anderen Lebewesen. Die meisten anderen Tiere kommen weitgehend fertig aus dem Mutterleib, wie gebrannte Töpfe aus einem Ofen. Jeder Versuch, sie zu verändern, würde sie zerbrechen. Menschliche Säuglinge kommen dagegen eher wie geschmolzenes Glas aus dem Ofen; sie lassen sich noch erstaunlich gut ziehen, drehen und formen. Deshalb können wir unsere Kinder heute zu Christen oder Buddhisten, Kapitalisten oder Sozialisten, Kriegern oder Pazifisten erziehen.
    *
    Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, dass ein großes Gehirn, der Gebrauch von Werkzeugen, verbesserte Lernfähigkeit und komplexe gesellschaftliche Strukturen automatisch einen gewaltigen Überlebensvorteil darstellen. Aus heutiger Sicht scheint es uns vollkommen offensichtlich, dass der Mensch seinen Aufstieg zum mächtigsten Tier der Erde nur diesen Eigenschaften verdankt. Doch trotz dieser Vorteile blieben die Menschen zwei Millionen Jahre lang schwache und unauffällige Geschöpfe. Zwischen Indonesien und der spanischen Halbinsel lebten nicht einmal eine Million Menschen, und das mehr schlecht als recht. Sie lebten in dauernder Angst vor Raubtieren, erlegten selten große Beute und ernährten sich vor allem
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