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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
Autoren: Wilhelm Genazino
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mich in die Küche, las meine Beiträge und freute mich. Mutter hatte sich in das Schlafzimmer zurückgezogen. Ich glaube, es verblüffte mich nicht, daß meine Texte gedruckt wurden. Schon als Siebzehnjähriger hätte ich mich Schriftsteller nennen dürfen, was ich mich jedoch nicht traute. Es war klar, die Lehre, in die ich früher oder später eintreten würde, war nichts weiter als eine Übergangslösung. In Wahrheit wollte ich schreiben, hauptberuflich, und zwar sofort. Wie ich das anstellen sollte, wußte ich freilich nicht, und ich war deswegen bekümmert. Ich verstaute die beiden Belegexemplare und öffnete die anderen Briefumschläge. Es handelte sich um Rücksendungen von Manuskripten, die nicht angenommen worden waren. Ich las auch sie noch einmal durch und fragte mich, warum sie abgelehnt worden waren. Die noch Ansehnlichen unter den Manuskripten steckte ich in neue Briefumschläge und adressierte sie an die Redaktionen anderer Zeitschriften. Ich horchte in die Stille der Wohnung, es rührte sich nichts. Es war nicht gut, nach einer fehlgeschlagenen Bewerbung allzu lange allein in der Küche sitzen zu bleiben. Der Rauswurf aus dem Gymnasium lag jetzt drei Wochen zurück. Bis zum kommenden Frühjahr, wenn ich die dann hoffentlich gefundene Lehrstelle antreten würde, hatte ich noch ein paar Monate freie Zeit, die ich mit Schreiben, Umhergehen und Nachdenken verbringen wollte. Mutter verließ das Schlafzimmer nicht. Sie redete schon lange nicht mehr über ihre Angelegenheiten. Als ich vierzehn war, riet ich ihr, sich scheiden zu lassen. Ich hatte mir damals vorgestellt, sie würde mich dann an der Hand nehmen und wir würden zusammen ein anderes Leben beginnen. Aber Mutter fand nicht die Kraft zu einer Flucht, im Gegenteil, sie wurde von Jahr zu Jahr stummer und schwächer. Sie merkte nicht einmal, daß ich mit ihr am Tisch saß und sie immerzu aufbruchsbereit anschaute. Jetzt sah ich auf meine nichtfrankierten Briefumschläge. Erwünschte und unerwünschte Einsamkeiten flossen ineinander. Je stiller es wurde, desto mehr staute sich hinter der Ärmlichkeit des Tages die Vermutung von der Ärmlichkeit des ganzen Lebens. Diese Vermischungen durfte ich nicht zulassen. Ich nahm die Briefumschläge und verließ die Wohnung.
    Die Schalterhalle der Post war um diese Zeit angenehm leer. Während ich Briefmarken aufklebte, sah ich an einem Schalter ganz links einen offenbar liegengebliebenen Bund mit hellroten Rosen. Niemand kümmerte sich um den mit feinem Papier eingewickelten Strauß. Mir fiel Gudrun ein, die ich später vom Büro abholen würde. Sie würde sich freuen, wenn ich sie mit Rosen überraschte. Ich ging zu dem Schalter ganz links und kaufte erneut zehn Sondermarken für den bestimmt nicht nachlassenden Versand meiner Manuskripte. Beim Abgang vom Schalter nahm ich den Rosenstrauß an mich und kam damit fast bis zur Drehtür. Doch dann hörte ich hinter mir eine Stimme. Es war die Stimme des Schalterbeamten, der sich für seinen Zuruf sogar erhoben hatte. Gehören Ihnen die Blumen? fragte er quer durch den Raum. Nein, antwortete ich und ging schon zum Schalter zurück, ich dachte, sie sind vergessen worden, ich meine verloren, also übriggeblieben, wenn ich sie nicht mitnehme, werden sie vielleicht sogar weggeworfen. Ach! sagte der Schalterbeamte. Die Blumen können Sie doch nicht einfach mitnehmen! Bestimmt kommt gleich jemand zurück, dem die Rosen wirklich gehören, also! Der Mann nahm mir die Blumen ohne weiteres aus der Hand, beziehungsweise ich streckte sie ihm über den Tresen entgegen. Ich nahm mir nicht mehr die Zeit, den Mann beim Kopfschütteln zu betrachten, sondern drehte mich rasch um und verließ schnellstens die Post.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag traf mich, freilich in einem minder schweren Fall, die Tücke des Scheiterns. Im Grunde war ich weder dem ersten noch dem zweiten Fall gewachsen. Ich ging sprachlos umher und schaute danach, was auf den Rücksitzen geparkter Autos herumlag. Nach einiger Zeit fing ich an, die von mir gesehenen Gegenstände beim Namen zu nennen. Zeitschrift. Straßenkarte. Einkaufsnetz. Pelzmütze. Orangen. Wolldecke. Handschuhe. Babyschnuller. Pfeife. Sonderbarerweise verlor ich durch die Aufzählung der Dinge das Gefühl des Ausgeliefertseins. Ich ging durch etwa drei Straßen, sah am Straßenrand in die Autos und sagte halblaut vielleicht zweihundert Wörter auf. Dann kippte meine Stimmung, ich fühlte mich wieder obenauf. Noch vor zwei Jahren hatte ich, als
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