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Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn
Autoren: Ambler
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Vierziger mit langem Schädel, magerem Gesicht und traurigen Augen. Er riecht nach Rasierwasser. Ich mochte ihn nicht, und er mochte mich nicht. Ich hatte nie für eine Tageszeitung gearbeitet. Ich entsprach nicht seinen Vorstellungen von einem Zeitungsmann. Ich war während der Kriegsjahre in England aufgewachsen und sprach Englisch mit einem britischen Akzent, an dem die amerikanischen Redewendungen, die ich auf der Redaktion gelernt hatte, nichts änderten. Und dann war da auch noch meine Vorgeschichte, die ihm nicht geheuer war, wenn er sie auch zu ignorieren suchte.
    Er zuckte die Achseln. »Tut mir leid, Piet. Ich habe mein Bestes getan. Natürlich hätte ich noch weiter argumentieren können, aber das hätte nichts geholfen.«
    Damit hatte er sicher recht.
    Sy war stellvertretender Chefredakteur gewesen, als Hank Weston, der frühere Chefredakteur, mich aus reiner Freundlichkeit als Rechercheur eingestellt hatte. Da ich damals dringend Arbeit brauchte, hätte ich auch den Job eines Redaktionsboten angenommen. Ich hatte mich schnell emporgearbeitet. Wenn man überhaupt schreiben kann, kann man sehr schnell im Stil des World Reporter schreiben. Nach einigen Monaten war ich fester Mitarbeiter und hatte einen Jahresvertrag.
    Dann war Hank zum U.S.I.A. nach Washington gegangen, und Sy hatte seine Stelle eingenommen. Kurz darauf bekam ich Ärger.
    Bei jeder nur möglichen Gelegenheit ernennt sich World Reporter zum Weltgewissen und spielt sich als Sittenrichter auf. Der Feind wird dämonisiert. Er heißt: ›Die geistige Krankheit unserer Zeit.‹ Und World Reporter kämpft für das Gute, indem er ein beliebiges soziales Symptom als für diese Krankheit typisch bezeichnet und es lüstern und indigniert genau betrachtet. So viel nun zum Beispiel jede Form von Jugendkriminalität hergibt, wird auch sie auf die Dauer monoton. In der Hoffnung, daß die Verdorbenheit Erwachsener, europäischer Erwachsener, Abwechslung bringen könnte, sandte Sy mich als Schnüffler in die Hamburger Nachtlokale. Ich fand dort eine Unmenge Verderbtheit von der bekannten, deprimierenden Art. Zu meinem Pech fand ich auch etwas, was mich ergötzte.
    Es war in einem Transvestitennachtklub. Die Attraktion – Männer in Frauenkleidung – war banal. Aber der Star der Show war außergewöhnlich.
    In der Regel sehen Männer in Frauenkleidern alle gleich aus: die Brüste sind zu hoch angesetzt, die Rundungen sind am falschen Ort, die Bärte schimmern bläulich durch die Pudermaske. Dieser Mann sah nicht nur wie eine Frau aus, er wirkte auch wie eine Frau, und zwar wie eine amüsante und talentierte Frau. Er war hinreißend. Ein betrunkener, ganz und gar nicht homosexueller Schiffsoffizier, der versehentlich in das Lokal geraten war, geriet vor Entzücken außer sich. Als ein Kellner ihn schließlich über seinen Irrtum aufklärte, schrie er zur Antwort: »Mädchen oder Mann, das ist mir egal. Ich will ins Bett mit ihm!«
    Ich beging den Fehler, diesen Vorfall zu erwähnen, und ich fügte hinzu, daß dem Mann meine Sympathie gehöre. Ich dachte, das würde die Redaktion amüsieren, und das tat es auch. Statt diesen Satz zu streichen, ließen sie ihn stehen, damit sich auch die Leser in New York amüsierten. Zufällig sah Mr. Cust die Stelle, und amüsierte sich nicht.
    Er ließ mein Vorleben überprüfen.
    Ohne Zweifel hatte er erwartet, vielleicht sogar gehofft, herauszufinden, daß ich homosexuell sei. Homosexualität verträgt er nicht. Statt dessen erfuhr er, daß ich Herausgeber und Mitinhaber von Ethos gewesen war, einer kritischen Zeitschrift, die Pleite gemacht hatte, und daß ich nach einem mißglückten Selbstmordversuch mehrere Monate in einer psychiatrischen Klinik in Frankreich verbracht hatte. Die Leitung des Sanatoriums hatte den Pariser Privatdetektiven sogar verraten, daß ich Schockbehandlungen bekommen hatte.
    Es stellte sich heraus, daß Mr. Cust nicht nur Homosexualität, sondern auch Bankrott und seelische Störungen nicht verträgt. Ich war erledigt. Und hätte Hank Weston nicht den Job in Washington angenommen, so wäre auch er erledigt gewesen, weil er einen Mann mit einem solchen Vorleben angestellt hatte.
    Die Sache sprach sich bald herum, und ich teilte Sy meine Kündigung mit. Aber bei World Reporter liegen die Dinge nicht so einfach. Mr. Cust ist ein eifersüchtiger Gott, und zu dem Zeitpunkt war ich noch fünf Monate vertraglich gebunden. Wer mit diesem Betrieb einen Vertrag hat, darf unter gar keinen Umständen
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