Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
Vom Netzwerk:
dachte, er wolle sich auf diese Weise als Alkoholiker vorstellen; es hatte aber die übliche Bedeutung, wie ich später erfuhr. Zuweilen ließ ich halten, um ein wenig zu Fuß zu gehen. Es war kaum Verkehr.
    *
    Jedes Mal hat sich die Stadt verändert, wenn ich sie besuche; das ist kein Wunder bei unseren hektischen Umtrieben. Die Hochhäuser schießen empor wie die Pilze; es ist schwieriger geworden, sie einzureißen als sie zu erbauen. Doch gibt es Artisten der Demolition.
    Diesmal fand ich den Wechsel besonders kraß. Der Zeitsprung mochte dazu beitragen. Zwar hatten sich die altbekannten Viertel im Kern erhalten, doch vergeblich suchte ich Straßen und Plätze mit vertrauten Namen; selbst der Fahrer hatte sie noch nie gehört. Dort standen nun Fabriken, und manchmal auch von diesen kaum noch eine Spur.
    Besonders schmerzte mich, daß auch der große Wald verschwunden war. Gern hätte ich wenigstens an einem meiner Lieblingsbäume die Zeichen berührt, die ich in ihre Rinde geritzt hatte. Doch das steht einem Ahasver nicht zu.
    Der Waldgrund trug nun Vorstadtcharakter; die Fläche war mit Küchengärten und verwahrlosten Hütten bedeckt. Aus manchen stieg Rauch auf: Lauben für Pensionäre und Kaninchenzüchter, Schlupfwinkel für Obdachlose und fahrendes Volk. Auch ein Kiosk mit windschiefer Carotte sah verdächtig aus. Um den Fahrer, der einzuschlafen drohte, bei Laune zu halten, spendierte ich ihm einen Pernod. Als ich Zigaretten bestellte, fragte der Händler, ob »mit oder ohne« – er hatte also noch stärkeren Stoff. Am Wegrand war Indischer Hanf im Unkraut verborgen, davor warnte ein Schildchen: »Achtung, Viperngefahr!«
    Auch in der Hoffnung, meinen Rastplatz bei den Arkaden wiederzufinden, sah ich mich enttäuscht. Das Restaurant, das dort gestanden hatte, war verschwunden nebst der Terrasse, auf der die Kellner serviert hatten. Es wurde sumpfig; in den Lehmgruben einer aufgelassenen Ziegelei hatten sich Weiher gebildet, an deren Rändern Schilfrohr dunkle Kolben trieb. Unter einem Verbotsschild sah ich am Ufer einen Angler sitzen, der einer Vogelscheuche glich. Hier ging es nicht rechtmäßig zu.
    Wir näherten uns nun dem Waldrand, in dem um die Jahrhundertwende Diplomaten und Privatiers gewohnt hatten. Soweit die Villen noch standen, sahen sie wie in Pompeji oder sogar wie in Herculaneum aus. Hatte es inzwischen wieder einen Krieg, ein Pogrom, ein Erdbeben oder einen Börsenkrach gegeben? – ich erinnerte mich nicht. Aber ich spürte den Hauch der Verwesung um so stärker, als ich hier Gönner und Freunde gehabt hatte.
    Gleich darauf ging es uns wie Schiffbrüchigen, die auf dem Festland stranden: wir fuhren in ein Viertel mit bewohnten Häusern, Geschäften und bescheidenem Verkehr. Hier war ich im Bilde und mein Fahrer auch. Ich atmete auf wie einer, dem es die Sprache verschlagen hat und der sie wiederfindet, ohne daß ihm ein Wort verloren ging. So konnte ich mir einen Wunsch erfüllen, den ich lange gehegt, doch vergessen hatte und der nun wieder aufwachte. Ich murmelte: »Zum Museum« – der Fahrer hörte es und brachte mich wie ein Nachtwandler zum Ziel. Während ich nach der Brieftasche griff, um zu bezahlen, jagte er in Schlangenlinien davon. Ein Chauffeur, der vergißt zu kassieren, das kommt nicht alle Tage vor. Merkwürdig schien auch sein Ortssinn, denn ich hatte weder Straße noch Hausnummer genannt. Zwar gab es nur ein Museum in diesem Viertel, nämlich das »Musée Henri IV .«, doch war es nur Eingeweihten bekannt. Aber der Trunk macht hellsichtig.
    *
    Ich stand nun vor dem Hause, an dem ich oft vorübergegangen war, wenn ich Freunde am Waldrand besucht hatte. Es war gut gewählt, ein Palais aus der Zeit.
    Damals hatte ich mich von unserer erbärmlichen Gegenwart an der Geschichte erholt wie in einem Quellwasser. Ich will damit nicht sagen, daß andere Zeiten besser gewesen wären, doch der Rückblick zaubert ihr geistiges Gerüst hervor. Wir sehen nicht nur, was geschehen, sondern auch das, was möglich gewesen wäre und nur ein Wunschtraum blieb. Auch Heinrich IV . hatte schwere Fehler; man sagte ihm nach, daß er wichtige Staatsgeschäfte außer acht ließ, wenn es einer Schürze nachzuspüren galt. Zu seiner Zeit kursierten »Die Liebschaften Alexanders«, ein Pamphlet. Madame Simier meinte von ihm nach der ersten Begegnung: »Ich habe einen König gesehen, doch nicht Seine Majestät.« Sei's drum – er stand und fiel für seine Zeit im Ganzen: das Aufblühen von Sinnenfreude
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher