Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ehrenwort

Titel: Ehrenwort
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
an.
    Verständnislos und wider Willen lächelte Harald zurück.
    Dann erst sah er die weiße Hose und begriff. So weit war es schon gekommen, dass wildfremde Menschen einen Schlüssel zu seinem Haus besaßen. Doch er brachte es nicht fertig, diese junge, fröhliche Frau anzuschnauzen.
    »Ihrem Vater geht es von Tag zu Tag besser«, plauderte Jenny, während beide in den Flur traten. »Ihr Sohn bemüht sich ja auch rührend um seinen Opa.«
    »Und ich dachte, er liegt im Sterben«, sagte Harald verwundert.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Jenny, »den kriegen wir schon wieder hin!«
    Harald Knobel sagte nichts mehr. Voller Ingrimm hängte er seinen Mantel auf und verschwand erst einmal in seinem Arbeitszimmer. So haben wir nicht gewettet!, dachte er. Dann ging er ins Bad, um sich nach einem langen Arbeitstag die Hände zu waschen - und stolperte fast über den Badewannenlift. Auf der Konsole stand sein eigenes Rasierzeug direkt neben Franzbranntwein, Fettsalben und einer Gebissschale.
    Im Bad hatte Petra seit langem einen Brauch aus ihrer eigenen Familie eingeführt. Nach »Petras Farbenlehre« hatte jedes Mitglied der Familie eine bestimmte Farbe für Handtücher, Waschlappen und sogar für die Bademäntel. Petra hatte Rot für sich selbst gewählt, für Harald Blau; später, als die Kinder dazukamen, erhielt Mizzi die Farbe Rosa und Max bekam Gelb zugewiesen. Natürlich wurde die reine Lehre mit der Zeit verwässert, weil es Handtücher in schicken Streifen und Mustern gab, die Petra unbedingt kaufen wollte. Aber Harald war konservativ und blieb bei seinem Blau. Nun sah er mit Befremden die neu angebrachten Haken mit einem dunkelblauen Waschlappen für unten und einem gelben für oben. Sein eigener hing in direkter Nachbarschaft neben dem seines Vaters und konnte ohne weiteres verwechselt werden.
    Nebenan in Mizzis Zimmer hörte er Max und Jenny lachen. Es roch nach Zigaretten. Petra schien noch nicht zu Hause zu sein, in der Küche war es dunkel. Von wegen: Machen Sie sich keine Sorgen, den kriegen wir schon wieder hin! Wollte ihn sein Vater nur aus dem eigenen Haus hinausekeln?
    Zum ersten Mal überlegte Harald ganz bewusst, wie man beim Ableben seines Vaters etwas nachhelfen könnte. Noch würde es der Hausarzt für selbstverständlich halten, wenn der Patient schwächer und schwächer wurde und nach längerer Nahrungsverweigerung friedlich entschlief. Also musste auf jeden Fall verhindert werden, dass Max dem Alten Wasser ans Bett brachte.

6

    Spätabends beschloss Harald endlich, in Mizzis Zimmer vorbeizuschauen, um sich selbst ein Urteil über den Zustand seines Vaters zu machen. Seine Frau war immer noch nicht aufgetaucht.
    Die Leselampe brannte, der Alte war wach und rief: »Sieh mal einer an, der Wolf kommt zum Großvater!«
    »Wie geht es dir?«, fragte Harald leicht befangen. »Fühlst du dich wohl hier?«
    »Ubi bene, ibi patria!«, kam die Antwort.
    »Ich verstehe kein Latein«, sagte Harald ärgerlich. »Auf einem so hohen Niveau kannst du mit deinem missratenen Sohn nicht kommunizieren.«
    Auf dem Nachttisch standen eine Pillenpackung, ein Wasserglas, zwei leere und ein halbvoller Puddingbecher. Harald betrachtete das Stillleben mit gerunzelter Stirn.
    »Ubi heißt wo und ibi heißt dort. Also: Wo es mir gutgeht, da fühle ich mich zu Hause«, übersetzte der Alte. »Eigentlich wollte ich ja wieder nach Dossenheim zurück, aber man hat mich nolens volens hierher verfrachtet. Es gefällt mir im Grunde nicht schlecht bei euch, allerdings cum grano salis. Denn diese Grimmhild ist ein Besen.«
    »Wer soll das denn sein?«
    »Na, das Flintenweib, das mich morgens malträtiert. Die Kleine am Abend ist reines Gold. Sie kam, sah und siegte.«
    »Wenn es dir jetzt bessergeht, könntest du ja in ein Altenheim umsiedeln, dort wirst du optimal versorgt.«
    »Pfui Teufel, alles, nur das nicht! Besser als Max und die Kleine kann es keiner machen. Ich bleibe hier, Mizzi braucht das Zimmer ja nicht mehr. Sie wird sicherlich bald heiraten.«
    »Und was soll aus deinem Haus werden?«
    »Ich könnte es zum Beispiel vermieten und euch die Einnahmen überlassen - für Kost und Logis. Wenn du mich allerdings loswerden willst, dann ändere ich mein Testament.«
    Waren das nun ganz neue oder doch eher uralte Töne?, überlegte Harald. Na warte, hier habe noch immer ich das Sagen!
    »Gute Nacht!«, sagte er laut, schob ein unhörbares »Kotzbrocken« hinterher und verließ den Raum. Max war unauffindbar, schien wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher