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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter
Autoren: Rose Gerdts
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Steenhoff wechselte ein paar Worte mit dem Beamten. Dann fuhren sie weiter.
    «Wie können die Leute nur neben so etwas leben?», fragte Navideh in die Stille des Wagens hinein.
    Dieselbe Frage hatte sich Steenhoff gestellt, als er damals für kurze Zeit in der Ermittlungsgruppe «Bunker» mitarbeitete. Innerhalb weniger Wochen hatten sie gleich mehrere Sokos gründen müssen, weil ein grausames Verbrechen nach dem anderen die Polizei in Atem hielt.
    «Die Leute, die hier schon lange wohnen, haben uns damals erzählt, dass sie den Bunker gar nicht mehr sehen», antwortete Steenhoff. «Der Mensch ist eben in der Lage, vieles auszublenden.»
    Navideh schüttelte ungläubig den Kopf. «Wisst ihr, wie groß das Ding ist?»
    «Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Bunker Valentin 33   Meter hoch und über 400   Meter lang. An seiner breitesten Stelle misst er knapp hundert Meter», dozierte Steenhoff. «Die Betonwände sollen bis zu sieben Meter dick sein. DasErstaunlichste sind aber die Wasserbecken im Innern. Die sind angeblich 16   Meter tief.»
    «Woher weißt du das alles?», erkundigte sich Wessel verwundert.
    «Ich habe Monate nach dem Doppelmord an einer Führung durch den Klotz teilgenommen. Ich sage euch, es gibt keinen schrecklicheren Ort in Bremen als dieses Monstrum.»
    Schweigend fuhren sie an der Ostseite des Bunkers vorbei. Hundert Meter weiter erkannte Steenhoff den Wagen der Spurensicherer. Ein Leichenwagen und ein zweiter Streifenwagen parkten direkt daneben. Zwei Männer standen rauchend beieinander.
    «In dem Bunker sollten U-Boote aus Fertigteilen endmontiert werden.» Steenhoff nahm den Faden wieder auf. «Alle 56   Stunden wollten die Nazis ein neues U-Boot vom Stapel laufen lassen. Zum Bau des Bunkers hatten sie Tausende von Gefangenen eingesetzt. Viele der Zwangsarbeiter haben die Arbeit nicht überlebt. Ganz in der Nähe wurden später Massengräber gefunden. Aber wie viele Menschen hier starben, weiß niemand genau. Jedenfalls war der U-Boot -Bunker zu 90   Prozent fertig, als ihn die Engländer in den letzten Kriegstagen bombardierten.»
    Er hielt neben dem Leichenwagen auf einem kleinen provisorischen Parkplatz, wo der Feldweg einen scharfen Knick nach links machte. Ein Polizist begrüßte sie knapp und führte sie über einen niedrigen Deich in eine Art Bucht. Eigentlich idyllisch hier, dachte Steenhoff. Keine Wolke war am blauen Himmel zu sehen, Vögel zwitscherten. Auf der Weser bemerkte er ein tief im Wasser liegendes Binnenschiff, das langsam flussabwärts fuhr. Bis auf die Vogelstimmen und das entfernte Tuckern des Schiffsmotors herrschte Stille.
    Mit jedem Schritt, den Steenhoff auf den Tatort zuging, stieg seine Anspannung. Direkt hinter ihm folgten Wessel und Petersen. Der Beamte zeigte auf einen von der Spurensicherung markierten Trampelpfad durch das Deichvorland. Wer zum Leichenfundort wollte, musste diesen Weg nehmen, um nicht versehentlich weitere Spuren zu legen oder vorhandene zu zerstören.
    Zwei Männer in weißen Einmalanzügen krochen auf allen vieren vorsichtig auf dem Boden herum. An der Statur erkannte Steenhoff den Leiter der Tatortgruppe, Gerhard Marlowski, sowie den Rechtsmediziner Bernd Brückner.
    «Na, seid ihr auch schon aufgestanden?» Marlowski warf den Ankömmlingen einen abschätzigen Blick zu, richtete sich unbeholfen auf und nickte den Kollegen mürrisch zu. «Wir hatten schon Sorge, dass die Presse den Fall löst, bevor ihr die erste Aktennotiz anfertigt.» Er deutete auf ein paar Bäume, von denen nur die grünen Kronen über den Deich schauten. «Die Kollegen mussten den Tatort weiträumig absperren. Aber vorhin ist schon wieder ein Fotograf durch die Absperrung gekommen und hat Bilder gemacht. Ich hasse diese Open-Air-Veranstaltungen. Wird Zeit, dass die Leiche in die Rechtsmedizin kommt. Aber die Herren und Damen von der Mordkommission brauchen ja mal wieder ein bisschen länger, bis sie zum Tatort finden.»
    Steenhoff ließ die übellaunige Tirade ruhig über sich ergehen. Marlowski leistete gute Arbeit mit seinen Leuten. Aber als Kollege war er oft nur schwer zu ertragen. Er fand immer etwas, worüber er sich ärgern konnte. Seine bevorzugte Zielscheibe waren Journalisten und die Ermittler von der Mordkommission. Einmal waren Steenhoff und er deshalb heftig aneinandergeraten. Direkt an einem Leichenfundort, vor mehreren Beamten und dem Rechtsmediziner hatten siesich gegenseitig beschimpft. Keiner hatte nachgegeben oder sich später
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