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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter
Autoren: Rose Gerdts
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Aufmerksam studierte er die Fingernägel der Toten. «Navideh, schau dir das mal an.» Er spürte, wie seine junge Kollegin direkt hinter ihm in die Knie ging und die Hand der Toten betrachtete.
    «Sie hat sehr gepflegte Fingernägel. Und die Ringe scheinen aus echtem Gold zu sein.»
    «Das Opfer trägt am rechten Handgelenk auch noch einen goldenen Armreif», mischte sich Bernd Brückner ein. «Und einen Ohrring mit einem herzförmigen Anhänger. Den zweiten haben wir noch nicht gefunden.»
    «Um Geld ging es hier also nicht», stellte Wessel trocken fest.
    Marlowski holte einen durchsichtigen Beutel aus einer Kiste, in dem etwas Silbernes in der Sonne aufblitzte. «Diesen Schlüssel haben wir bei ihr gefunden. Sieht aus wie der Schlüssel zu einem Fahrradschloss, vielleicht auch zu einem Schließfach. Sonst trug sie nichts bei sich, womit man auf ihre Identität schließen könnte.»
    Erstaunt sah er Navideh Petersen nach. Sie hatte sich entfernt und ihre Jacke auf der Hälfte des Weges zwischen dem Leichenfundort und dem Deich ins Gras gelegt. Mit federnden Schritten erklomm sie die Deichkrone und ging langsam ein paar Schritte auf und ab, ohne die Männer aus den Augen zu lassen.
    «Was macht denn eure Hübsche da?», erkundigte sich Marlowski neugierig.
    Steenhoff drehte sich um und sah, wie Petersen auf dem schmalen Fußweg des Deiches in Richtung Parkplatz lief. Sie hielt den Kopf gesenkt, so als suche sie mit den Augen den Boden ab. Ihre nachlässig zum Zopf geflochtenen Haare hatten sich gelöst. Eine Windböe fuhr ihr durch das Haar, das sich gleich darauf wieder sanft um ihre Schultern legte.
    Bewundernd betrachtete Marlowski die schlanke, hochgewachsene Statur auf dem Deich. «Ihr Ermittler seid zu beneiden. Zu den Spurensicherern will so schnell keine Kollegin. Zumindest nicht so eine.»
    «Navideh will auch nur bei Frank sitzen», sagte Wessel und versuchte ein gequältes Lachen.
    Steenhoff ging nicht auf Wessels Bemerkung ein. Seit Navideh Petersen damals in sein Büro gezogen war und sie sich gemeinsam mit einem wuchernden Ficus Benjamini den kleinen Raum unterm Dach teilten, gab ihr engesVerhältnis immer wieder Raum für Spekulationen. Dabei wussten alle, dass Navideh Petersen früher mit einem Deutschen verheiratet gewesen war, danach aber mit einer Frau zusammenlebte. Einige der Kollegen fühlten sich durch ihre lesbische Neigung angespornt, noch intensiver um ihre Gunst zu werben. Doch für die meisten alleinstehenden Beamten und die notorischen Schürzenjäger im Präsidium war Navideh nicht mehr interessant, als bekannt wurde, dass sie eine Frau liebte.
    Vor ein paar Monaten nun hatten Navideh und Vanessa sich getrennt. Steenhoff hatte im Präsidium kein Wort darüber verloren. Auch Navideh vermied es, über ihr Privatleben zu sprechen. Steenhoff wusste, dass sie alles tat, um sich möglichst unauffällig unter ihren meist männlichen Kollegen zu bewegen. Er hatte sie all die Jahre immer nur in Jeans und T-Shirt gesehen. Röcke oder hochhackige Schuhe trug sie nie. Dennoch zog Navideh Petersen mit ihren ebenmäßigen Gesichtszügen, den auffälligen braunen Augen und ihrer Größe von einsdreiundachtzig stets alle Blicke auf sich. Ein Umstand, den sie nach eigenen Worten hasste. Navideh Petersen verbarg sich hinter ihrer kühlen Art. Nur einigen wenigen Kollegen gegenüber wagte sie, sich auch anders zu zeigen.
    Michael Wessel umwarb sie hartnäckig und hatte ihr sogar mehrfach angeboten, das Büro mit ihm zu teilen. Er hatte viele gute Gründe angeführt: Sein Zimmer, das auf der Ostseite lag, würde sich im Sommer nicht so unerträglich aufheizen. Außerdem lag es weit weg von der Eingangstür. Klingelte beispielsweise ein zur Vernehmung bestellter Zeuge an der Tür der Dienststelle, mussten oft Petersen oder Steenhoff aufstehen und für ihre Kollegen öffnen. Schließlich hatte Wessel sogar die düsteren Bilder von Emil Noldein Steenhoffs Büro als Argument angeführt. Doch Petersen hatte dankend abgelehnt und stattdessen ein eigenes Bild von Nolde an ihrer Wandseite des Büros aufgehängt. Für Wessel war dies damals ein weiterer Beweis für seinen Eindruck, dass zwischen der neuen Kollegin und Steenhoff mehr als nur Sympathie bestand. Steenhoff nahm Wessels Mutmaßungen zur Kenntnis, kommentierte sie aber nie. Navideh und er waren Kollegen. Mehr nicht. Das hatte er auch Ira gesagt, die nach dem ersten Zusammentreffen mit der Neuen ihre Befürchtungen offen ausgesprochen hatte. Danach hatte
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