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Dunkel ueber Longmont

Dunkel ueber Longmont

Titel: Dunkel ueber Longmont
Autoren: David Farland
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gewesen, und während der letzten langen Winter hatte Gaborn sich mit seinem Lerneifer hervorgetan.
    Er hatte gelernt, daß alle, Prinzen, berittene Straßenräuber.
    Kaufleute und Bettler ihre Mienen und Körperhaltungen wie Teile einer allseits anerkannten Maske trugen, und die Kunst, nach Belieben eine dieser Masken überzustreifen, beherrschte Gaborn meisterhaft. Erkonnte allein dadurch das Kommando über einen Raum voller Jungen übernehmen, daß er erhobenen Hauptes dastand; er konnte einen Händler mit einem ausweichenden Lächeln dazu bringen, mit dem Preis herunterzugehen. Eingehüllt in einen eleganten Reisemantel lernte Gaborn, auf einem geschäftigen Marktplatz den Blick zu senken und den Bettler zu spielen, der sich durch die Menge stiehlt, so daß, wer ihn beobachtete, nicht den Prinzen sah, sondern sich wunderte: Wo hat dieser Bettler nur einen so schönen Mantel gestohlen?
    Gaborn verstand es also, den menschlichen Körper zu lesen, und doch bildete er für andere stets ein Rätsel. Dank zweier Gaben der Geisteskraft konnte er sich ein umfangreiches Buch in einer Stunde einprägen. Während seiner acht Jahre im Haus des Verstehens hatte er mehr gelernt als die meisten Bürgerlichen in ihrem ganzen Leben.
    Als Runenlord besaß er drei Gaben Muskelkraft und zwei Gaben des Durchhaltevermögens, daher konnte er ohne Sorge die Waffen mit Männern kreuzen, die doppelt so groß waren wie er. Sollte ein Straßenräuber jemals wagen, ihn anzugreifen, würde Gaborn ihm zeigen, wie tödlich ein junger Runenlord sein konnte.
    Dennoch galt er in den Augen der Welt wegen seiner Gaben der Anmut als wenig mehr denn ein überraschend gutaussehender junger Mann. Und in einer Stadt wie Bannisferre, mit ihren Sängern und Schauspielern aus allen Teilen des Reiches, war sogar eine Schönheit wie die seine nichts Ungewöhnliches.
    Er betrachtete die junge Frau, die ihn festhielt, schätzte ihre Körperhaltung ab. Das Kinn erhoben, selbstsicher und leicht zur Seite geneigt. Eine Frage. Sie stellt mir eine Frage.
    Die Berührung ihrer Hand schwach genug, um ein Zaudern auszudrücken, kräftig genug, um… Besitzansprüche anzuzeigen. Erhob sie etwa Anspruch auf ihn? War dies der Versuch einer Verführung? fragte er sich. Aber nein die Körperhaltung stimmte nicht. Wenn sie ihn verführen wollte, hätte sie ihn im Kreuz berührt, an der Schulter, vielleicht gar am Gesäß oder an der Brust. Sie stand dagegen etwas entfernt, zögerte, ihm zu nahe zu kommen, und trotzdem hielt sie ihn fest.
    Dann verstand er: ein Heiratsantrag. Sehr ungewöhnlich, selbst in Heredon. Für eine Frau von ihrem Rang hätte die Familie mühelos eine Hochzeit arrangieren können. Dann begriff Gaborn aha, sie ist verwaist. Sie hofft, ihre Ehe selbst zu arrangieren!
    Auch diese Antwort befriedigte ihn nicht. Wieso arrangierte nicht ein wohlhabender Lord die Ehe für sie?
    Gaborn überlegte, für was sie ihn jetzt halten mußte. Für den Sohn eines Kaufmanns. Er hatte sich wie ein Kaufmann benommen. Obwohl bereits achtzehn, war sein Wachstum noch nicht vollkommen abgeschlossen. Gaborn hatte dunkles Haar und blaue Augen, also hatte er sich wie ein Geck aus Nord-Crowden angezogen, der mehr Reichtum als Geschmack besaß und durch die Stadt zog. während sein Vater wichtigere Geschäfte tätigte. Er trug grüne Strümpfe und Hosen, die oberhalb des Knies gerafft waren, zusammen mit einem eleganten weißen Baumwollhemd mit bauschenden Ärmeln und Silberknöpfen. Über das Hemd hatte er ein Wams aus dunkelgrüner Baumwolle gezogen, eingefaßt mit fein gearbeitetem Leder, verziert mit Süßwasserperlen. Ein breitkrempiger Hut, auf dem eine Bernsteinschnalle eine Straußenfeder hielt, rundete die Verkleidung ab.
    Gaborn kleidete sich so. weil er sich auf seiner Mission, die Verteidigungsanlagen Heredons auszuspionieren und das wahre Ausmaß des Reichtums seiner Ländereien und die Tapferkeit seines Volkes abzuschätzen, etwas im verborgenen halten wollte.
    Nun blickte er kurz nach hinten, hinüber zu dem niedrigen Steinbogen über einer Herberge, zwanzig Schritt entfernt. Die Straßen hier waren voller Menschen und wurden durch die Stände der Händler eng. Ein muskulöser, bronzehäutiger junger Mann ohne Hemd und mit roter Hose trieb ein Dutzend Ziegen durch das Gedränge und schlug mit einer Weidengerte auf sie ein. Auf der anderen Straßenseite, neben der Tür zum Gasthaus, stand Gaborns Leibwächter Borenson und grinste breit über Gaborns mißliche Lage.
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