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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten
Autoren: Franz Kafka
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briefliche Verbindung aufrecht er-
    halten wollte, keine eigentlichen Mitteilungen machen,
    wie man sie ohne Scheu auch den entferntesten Bekann-
    ten geben würde. Der Freund war nun schon über drei
    Jahre nicht in der Heimat gewesen und erklärte dies sehr 
    notdürig mit der Unsicherheit der politischen Verhält-
    nisse in Rußland, die demnach also auch die kürzeste
    Abwesenheit eines kleinen Geschäsmannes nicht zulie-
    ßen, während hunderttausende Russen ruhig in der Welt
    herumfuhren. Im Laufe dieser drei Jahre hatte sich aber 
    gerade für Georg vieles verändert. Von dem Todesfall
    von Georgs Mutter, der vor etwa zwei Jahren erfolgt
    war und seit welchem Georg mit seinem alten Vater in
    gemeinsamer Wirtscha lebte, hatte der Freund wohl
    noch erfahren und sein Beileid in einem Brief mit einer 
    Trockenheit ausgedrückt, die ihren Grund nur darin ha-
    ben konnte, daß die Trauer über ein solches Ereignis in
    [  ]
    der Fremde ganz unvorstellbar wird. Nun hatte aber
    Georg seit jener Zeit, so wie alles andere, auch sein Ge-
    schä mit größerer Entschlossenheit angepackt. Viel-
    leicht hatte ihn der Vater bei Lebzeiten der Mutter da-
     durch, daß er im Geschä nur seine Ansicht gelten las-
    sen wollte, an einer wirklichen eigenen Tätigkeit gehin-
    dert. Vielleicht war der Vater seit dem Tode der Mutter,
    trotzdem er noch immer im Geschä arbeitete, zurück-
    haltender geworden, vielleicht spielten – was sogar sehr
     wahrscheinlich war – glückliche Zufälle eine weit wich-
    tigere Rolle, jedenfalls aber hatte sich das Geschä in
    diesen zwei Jahren ganz unerwartet entwickelt. Das Per-
    sonal hatte man verdoppeln müssen, der Umsatz sich
    verfünffacht, ein weiterer Fortschritt stand zweifellos
     bevor.
    Der Freund aber hatte keine Ahnung von dieser Ver-
    änderung. Früher, zum letztenmal vielleicht in jenem
    Beileidsbrief, hatte er Georg zur Auswanderung nach
    Rußland überreden wollen und sich über die Aussichten
     verbreitet, die gerade für Georgs Geschäszweig in Pe-
    tersburg bestanden. Die Ziffern waren verschwindend
    gegenüber dem Umfang, den Georgs Geschä jetzt an-
    genommen hatte. Georg aber hatte keine Lust gehabt,
    dem Freund von seinen geschälichen Erfolgen zu
     schreiben, und jetzt nachträglich hätte es wirklich einen
    merkwürdigen Anschein gehabt.
    So beschränkte sich Georg darauf, dem Freund immer
    [  ]
    nur über bedeutungslose Vorfälle zu schreiben, wie sie
    sich, wenn man an einem ruhigen Sonntag nachdenkt, in
    der Erinnerung ungeordnet auäufen. Er wollte nichts
    anderes, als die Vorstellung ungestört lassen, die sich der
    Freund von der Heimatstadt in der langen Zwischenzeit 
    wohl gemacht und mit welcher er sich abgefunden hatte.
    So geschah es Georg, daß er dem Freund die Verlobung
    eines gleichgültigen Menschen mit einem ebenso gleich-
    gültigen Mädchen dreimal in ziemlich weit auseinander-
    liegenden Briefen anzeigte, bis sich dann allerdings der 
    Freund, ganz gegen Georgs Absicht, für diese Merkwür-
    digkeit zu interessieren begann.
    Georg schrieb ihm aber solche Dinge viel lieber, als
    daß er zugestanden hätte, daß er selbst vor einem Monat
    mit einem Fräulein Frieda Brandenfeld, einem Mädchen 
    aus wohlhabender Familie, sich verlobt hatte. O sprach
    er mit seiner Braut über diesen Freund und das beson-
    dere Korrespondenzverhältnis, in welchem er zu ihm
    stand. „Er wird also gar nicht zu unserer Hochzeit kom-
    men“, sagte sie, „und ich habe doch das Recht, alle deine 
    Freunde kennenzulernen.“ „Ich will ihn nicht stören“,
    antwortete Georg, „verstehe mich recht, er würde wahr-
    scheinlich kommen, wenigstens glaube ich es, aber er
    würde sich gezwungen und geschädigt fühlen, vielleicht
    mich beneiden und sicher unzufrieden und unfähig, die- 
    se Unzufriedenheit jemals zu beseitigen, allein wieder
    zurückfahren. Allein – weißt du, was das ist?“ „Ja, kann
    [  ]
    er denn von unserer Heirat nicht auch auf andere Weise
    erfahren?“ „Das kann ich allerdings nicht verhindern,
    aber es ist bei seiner Lebensweise unwahrscheinlich.“
    „Wenn du solche Freunde hast, Georg, hättest du dich
     überhaupt nicht verloben sollen.“ „Ja, das ist unser bei-
    der Schuld; aber ich wollte es auch jetzt nicht anders
    haben.“ Und wenn sie dann, rasch atmend unter seinen
    Küssen, noch vorbrachte:
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