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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
Autoren: Stefan Zweig
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zweierlei Begehrende (und wie gesagt, nur die Begehrenden, die Ambitiösen haben ihn interessiert): die Erotiker im eigentlichen Sinne, ein paar Männer also und fast alle Frauen, deren Sternbild einzig die Liebe ist, die unter ihm geboren werden und zugrunde gehen. Daß aber alle diese in der Erotik ausgelösten Kräfte nicht die einzigen seien, daß die Peripetien der Leidenschaft auch bei anderen Menschen nicht um ein Gran vermindert und, ohne daß die treibende Urkraft zerstäube oder zersplittere, in anderen Formen, in anderen Symbolen erhalten seien, durch diese tätige Erkenntnis hat der Roman Balzacs eine ungeheuerliche Vielfalt gewonnen.
    Aber noch aus einer zweiten Quelle hat Balzac ihn mit Wirklichkeit gespeist: er hat das Geld in den Roman gebracht. Er, der keine absoluten Werte anerkannte, beobachtete als Statistiker des Relativen genau die äußeren, die moralischen, politischen, ästhetischen Werte der Dinge und vor allem jenen allgemein gültigen Wert der Objekte, der sich in unseren Tagen fast dem absoluten nähert: den Geldwert. Seit die Vorrechte der Aristokratie gefallen sind, seit der Nivellierung der Unterschiede ist das Geld zum Blute, zur treibenden Kraft des sozialen Lebens geworden. Jedes Ding ist durch seinen Wert, jede Leidenschaft durch ihre materiellen Opfer, jeder Mensch durch sein äußeres Einkommen bestimmt. Zahlen sind die Gradmesser für gewisse atmosphärische Zustände des Gewissens, die Balzac zu erforschen sich zur Aufgabe gesetzt hat. Und Geld kreist in seinen Romanen. Nicht nur das Anwachsen und Hinstürzen der großen Vermögen, die wilden Spekulationen der Börse sind geschildert, nicht nur die großen Schlachten,in denen ebensoviel Energie verausgabt wird wie bei Leipzig und Waterloo, nicht nur diese zwanzig Typen der Gelderraffer aus Geiz, Haß, Verschwendungslust, Ambition, nicht nur jene Menschen, die das Geld um des Geldes willen lieben, und die, welche es um des Symbols willen lieben, und die wieder, denen es nur Mittel zu ihren Zwecken ist, sondern Balzac hat als der Erste und Kühnste an tausend Beispielen gezeigt, wie das Geld selbst in die edelsten, feinsten und immateriellsten Empfindungen eingesickert ist. Alle seine Menschen rechnen, wie wir es unwillkürlich im Leben tun. Seine Anfänger, die nach Paris kommen, wissen rasch, was ein Besuch der guten Gesellschaft kostet, eine elegante Gewandung, blanke Schuhe, ein neuer Wagen, eine Wohnung, ein Diener, tausend Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten, die alle bezahlt und erlernt sein wollen. Sie kennen die Katastrophen, verachtet zu werden um einer unmodischen Weste willen, sie haben bald heraus, daß nur Geld oder der Schein des Geldes die Türen sprengt, und aus diesen kleinen unablässigen Demütigungen wachsen dann die großen Leidenschaften und die zähe Ambition. Und Balzac geht mit ihnen. Er rechnet den Verschwendern ihre Ausgaben nach, den Wucherern ihre Prozente, den Kaufleuten ihre Verdienste, den Dandys ihre Schulden, den Politikern ihre Bestechungen. Die Summen sind die Gradziffern der aufsteigenden Unruhegefühle, der Barometerdruck der nahenden Katastrophen. Da Geld der materielle Niederschlag des universellen Ehrgeizes war, da es eindrang in alle Gefühle, so mußte er, der Pathologe des sozialen Lebens, um die Krisen des kranken Leibes zu erkennen, die Mikroskopie des Blutes unternehmen, den Geldgehalt desselben gewissermaßen feststellen. Denn aller Leben ist damit gesättigt, es ist Sauerstoff für die gehetzten Lungen, keiner kann es entbehren, der Ehrgeiz nicht für seinen Ehrgeiz, der Liebende nicht für sein Glück und am wenigsten der Künstler, das hat er selbst am besten gewußt, auf dessen Schultern die Schuld von hunderttausend Francs sich türmte, dieses furchtbare Gewicht, das er oft flüchtig – in der Ekstase der Arbeit – wegschleuderte von seinen Schultern und das schließlich zerschmetternd auf ihn niederfiel.
    Unübersehbar ist sein Werk. In den achtzig Bänden steht eine Zeit, eine Welt, eine Generation. Nie vorher ist bewußt ein so Gewaltiges versucht worden, nie wurde die Vermessenheit eines übergroßen Willens besser belohnt. Den Genießenden, den Ausruhenden, die am Abend, aus ihrer engen Welt flüchtend, neue Bilder und neue Menschen wollen, ist Erregung und ein wandelnd Spiel gegeben, den Dramatikern Stoff für hundert Tragödien, den Gelehrten – lässig hingeworfen wie Brocken vom Tisch eines Übersättigten – eine Fülle von Problemen und Anregungen, den Liebenden
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