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Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Pearse
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arbeiteten. Danach wurde nach den Besuchern gefragt und ob die Männer das Mädchen, das ihnen am besten gefiel, nahmen, oder ob Annie eine für jeden Mann aussuchte.
    »Wenn ein Mann zum ersten Mal kommt, ist er oft ein bisschen gehemmt, deshalb suche ich ein Mädchen für ihn aus«, antwortete Annie. »Aber beim zweiten oder dritten Mal fühlen sie sich wohl und kommen gern, um einen Drink zu nehmen und mit den Mädchen zu plaudern. Wenn ich einen Klavierspieler bekomme, wird auch getanzt. Dann suchen sie sich von den Mädchen, die frei sind, eins aus, das ihnen gefällt.«
    »Und Millie? Wurde sie oft genommen?« Ein anderer Polizist stellte mit barscher Stimme die Frage; bis jetzt hatte Belle angenommen, es wäre nur ein Beamter bei ihrer Mutter.
    »Oh ja, sie war die Beliebteste«, sagte Annie ohne zu zögern. »Ichwürde sagen, fast alle meine Gäste haben sie irgendwann einmal gefragt. Aber wie ich Ihnen schon gestern Abend sagte, sie wurde von keinem meiner Stammkunden getötet. Der Mann, der das getan hat, ist noch nie zuvor hier gewesen.«
    »Könnten Sie mir eine Beschreibung von ihm geben?«, fragte der barsche Polizeibeamte. »Und geben Sie sich ein bisschen mehr Mühe als gestern Abend«, fügte er sarkastisch hinzu.
    »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass es nicht günstig ist, einen Mann, der zum ersten Mal unser Haus besucht, zu genau anzuschauen, sonst kommt er nie wieder«, gab Annie scharf zurück. »Er war nicht älter als fünfundzwanzig, würde ich sagen. Schlank, gut gekleidet, braunes Haar, glatt rasiert. Sah aus, als würde er in einem Büro arbeiten   – er trug einen Bowler und einen steifen Kragen.«
    Belle runzelte verwirrt die Stirn, als sie die Beschreibung ihrer Mutter hörte, die so weit wie nur irgendmöglich von der Wahrheit entfernt war. Sie konnte halbwegs verstehen, warum ihre Mutter nicht wollte, dass sie vor der Polizei aussagte, was sie gesehen hatte. Aber jetzt schien Annie die Beamten auf eine völlig falsche Fährte zu locken.
    In diesem Augenblick kam Mog die Treppe hinuntergestapft, deshalb musste Belle rasch die Tür schließen und sich wieder ans Bügeln machen. Seltsamerweise hatte Mog nichts mehr zu Belle gesagt, keine Fragen, keine Ermahnungen, gar nichts. Hatte Annie es ihr verboten, oder wollte sie nicht über die Angelegenheit reden, solange die Polizei im Haus war? Belle wusste es nicht.
    Seltsam schien auch, dass Jacob verschwunden war, und obwohl Belle sich nicht sicher war, glaubte sie nicht, dass er im Haus gewesen war, als am Vorabend die Polizei eintraf. Anscheinend hatte Annie ihm befohlen, die Polizei zu rufen, dann zu verschwinden und erst wiederzukommen, wenn die Luft rein war.
    Auf einmal wurde Belle bewusst, dass sich in den letzten vierundzwanzig Stunden ihr ganzes Leben drastisch verändert hatte. Gestern Morgen hatte sie noch nicht einmal geahnt, was sich in den oberen Räumen abspielte. Jetzt wusste sie es, und dieses Wissenerfüllte sie mit Scham und Ekel. Außerdem war sie Zeugin eines grauenhaften Mords geworden. Und jetzt musste sie mit anhören, wie ihre Mutter der Polizei, ohne mit der Wimper zu zucken, faustdicke Lügen auftischte, und das war noch unbegreiflicher als alles andere.
    Die Polizisten gingen bis vier Uhr nachmittags und länger im Haus ein und aus, und Mog murrte wegen des Schnees, den die Männer jedes Mal hineinschleppten.
    »Die Treppen rauf und runter, rein in den Salon und wieder raus, ohne daran zu denken, was sie unseren Teppichen antun. Warum können sie nicht einfach reinkommen und drinnen bleiben? Männer! Zu nichts zu gebrauchen! Ich würde keinen in mein Haus lassen.«
    Belle spürte, dass Mogs Sorge in Wirklichkeit weniger dem schmutzigen Boden galt als vielmehr den Menschen, für die sie sich verantwortlich fühlte. Sie selbst ertappte sich dabei, bei unerwarteten Geräuschen zusammenzuzucken, und fühlte sich weinerlich und verängstigt. Immer wieder hatte sie im Geiste durchgespielt, was sie gesehen hatte, aber es ergab trotzdem keinen Sinn, dass der Mann Millie getötet haben sollte, bloß weil sie nicht mit ihm weggehen und bei ihm wohnen wollte. Sie musste wirklich mit jemandem darüber sprechen und die hässlichen Bilder aus ihrem Kopf vertreiben, und die Person, die ihr zuhören, sie trösten und ihr alles erklären sollte, war ihre Mutter.
    Der Zorn in Belles Innerem wuchs von Minute zu Minute. Sie fühlte sich im Stich gelassen, und es verbitterte sie, dass Annie sich mehr Sorgen um »ihre Mädchen«
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