Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)

Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)

Titel: Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Autoren: Kim Kestner
Vom Netzwerk:
und sehen uns Ausschnitte aus ihrem Leben an, bevor sie uns vom Stuhl kippt.«
    Niemand kommt auf die Idee, mir zu helfen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich mich in die schwarze Tiefe fallen lasse, die in mir aufsteigt … Sie drängt sich mir auf, will mich erlösen, mich mit ihr reißen, ins Vergessen. »Kämpfe! Sei stark!«, hat Ivana gesagt.
    Wozu?, denke ich, doch dann sehe ich eine Tür. Nicht in meinem Kopf, sondern auf der Bühne …
    Dunkle Bretter umschließen ein rautenförmiges Fenster, in dem sich wiegende Baumwipfel spiegeln, und Sonnenstrahlen tanzen über die Dielen, als sich die Tür knarzend öffnet. Es ist unser Haus. Nicht einmal zehn Meter entfernt steht es da. Genau so, wie ich es kenne. Am liebsten möchte ich aufspringen und hineinrennen. Durch diese Tür in mein Zimmer, in mein Bett und von dem wunderbaren Gezwitscher der Vögel aus diesem Albtraum geweckt werden. Ich will nach Hause! Der innige Wunsch gibt mir die Kraft, die ich brauche, um mich hier oben zu halten.
    Ich kann nach Hause. Ich kann es schaffen. Ich muss es schaffen! Jetzt darf ich nicht nachgeben, nicht abgleiten …
    In meinen Sessel gequetscht starre ich auf die Szene: Mein Vater, viel jünger und mit fast vollem Haar, hält meiner Mutter die Tür auf. »Jetzt sind meine beiden Prinzessinnen zu Hause.« Gut gelaunt beugt er sich über ein Bündel in Mums Armen, über dem die Wörter Alison, geb. 1996, 3 Tage schweben. Auch seine Bewegungen werden von einem Schriftzug verfolgt: Robert, geb. 1960, 36 Jahre , wie auch bei meiner Mum : Susan, geb. 1963, 33 Jahre .
    »Vielleicht sollten wir das Bettchen ins Wohnzimmer stellen …« Meine Mutter sieht sich um.
    »Nicht nötig. Ich habe eine Überraschung für euch!«
    Dad gluckst aufgeregt und entschwindet mit schnellen Schritten der Projektion.
    Mum streichelt meinem schlafenden Ich zärtlich über den dunklen Flaum. »Wir werden so tun, als wüssten wir nicht, woran dein Daddy die letzten Wochen gearbeitet hat, in Ordnung, Schätzchen?« Sie flüstert verschwörerisch, öffnet das Fenster und deutet hinaus auf unseren Schuppen, in dem Dad ganze Wochenenden verbringen kann.
    Und auch wenn das Knacken der dahinterliegenden Bäume bis auf die Bühne getragen wird, fehlt der Geruch von Sägespänen, Harz und feuchter Baumrinde, damit ich mich vollkommen in diesem Trugbild verlieren kann.
    Meine Mutter wendet sich um.
    Bis auf einige Bilder, die ich Jahre später gemalt habe, sieht das Wohnzimmer unverändert aus: dunkle Holzdielen, grob und fleckig, bedecken den Fußboden. Auf ihm ein mit lindgrünem Cord bespanntes Sofa, ein Ohrensessel, dunkelbraun mit abgegriffenem Leder, Dads Lieblingsplatz gleich nach dem Schuppen. Der Kamin brennt nicht. Es ist Sommer, und als Dad im Rückwärtsgang eine Wiege in den Wohnraum zerrt, flattert ein Schmetterling mit ihm herein. Natürlich ist die Wiege aus Holz. Mein Name ist aus einem Brett herausgearbeitet und etwas, das aussieht wie ein Otter mit langen Ohren.
    »Sie ist wunderschön. Und du hast sogar ein kleines Häschen geschnitzt.« Mum sieht ehrlich begeistert aus. Sie legt mich vorsichtig auf ein Schaffell, um die Wiege zu umrunden.
    Eine Erinnerung flammt in mir auf. Eigentlich ist es mehr ein Geruch als ein Bild, der mir flüchtig in den Sinn kommt, aber ich bin mir sicher, dass ich diesen Platz geliebt habe.
    Plötzlich laufen die Bilder schneller. Unser Wohnzimmer sinkt in den Halbschatten der mondbeschienenen Nacht, meine Mutter steht im Morgengrauen auf, nimmt mich aus der Wiege, Schatten und Licht tanzen durch das Zimmer, die Sonne versinkt wieder. Dann laufen die Szenen meiner Vergangenheit so rasant ab, dass ich in der verwischten Holografie nur den rotbraunen Holzton ausmachen kann, der unser Haus durchzieht. Er wechselt ins Orange. Herbstblätter wehen über den nebelverhangenen Waldboden. Das Krähen von Raben. Der Anblick ist mir vertraut und auch wenn der Wald mein zweites Zuhause ist, durchläuft es mich eiskalt, als ich ein durchbrochenes Schluchzen vernehme, das von den verzweifelten Rufen meines Vaters übertönt wird.
    »Alison! Alison! Verdammt, Alison, wo bist du?«
    Die Rufe werden lauter. Zweige brechen, die nebelumfangene Gestalt meines Vaters stolpert in das Bild.
    »Daddy?«
    »Alison! Du meine Güte. Beweg dich nicht. Ich komme hoch und hol dich da runter. Du musst keine Angst haben, in Ordnung?« Dad blickt nach oben. »Bleib ganz still! Ich bin gleich da!«
    Die Perspektive wechselt. Erst jetzt sehe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher