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Die Zeitensegler

Titel: Die Zeitensegler
Autoren: Stefan Gemmel
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erfasste.
    Ein Schiff, das lebte?
    Verlor er nun endgültig den Verstand?
    Egal. Er musste einfach mehr über dieses geheimnisvolle Schiff erfahren.
    Schnell richtete er sich in seinem Boot auf und griff erneut nach den Rudern. Anstelle der anfänglichen Furcht verspürte er auf einmal eine geradezu unwiderstehliche Neugierde. Er hatte das Schiff ja noch gar nicht richtig ansehen können! Von seinem Schlafzimmerfenster aus hatte er es nur als Schemen wahrgenommen. Und von hier aus blickte er lediglich auf den hinteren Teil der rechten Seite. Nun wollte er endlich einmal das ganze Schiff in Augenschein nehmen.
    Ganz sachte senkte er die Ruder wieder ins Wasser und der Kahn glitt mit langsamen Schlägen die Schiffswand entlang in Richtung Bug.
    Das Alter des Schiffes war kaum einzuschätzen. Und dabei kannte sich Simon wirklich aus. In den vergangenen Jahren hatte er unzählige Bücher zum Thema Seefahrt geradezu verschlungen und eine Menge Filme über Meeresexpeditionen gesehen. Aber ein Schiff wie dieses war nie darin vorgekommen: Die Holzplanken, aus denen die Schiffswand bestand, mussten unendlich alt sein. Sie wiesen tiefe Risse und Löcher auf. Eine Mischung aus Salzgeruch und modrigem Gestank ging davon aus. Ganz bestimmt hatte dieses Schiff schon viele Meere bereist!
    Vorsichtig ruderte Simon weiter. Er hatte inzwischen beinahe die Mitte des Schiffes erreicht, als sich ein Schatten über ihn legte. Ruckartig blickte er nach oben. Eine Art Flügel hatte sich zwischen ihn und das Licht der Fackeln auf den Masten geschoben. Ein Flügel aus Holz.
    Fasziniert schaute Simon den Flügel an und folgte dessen Maserungen bis zum Schiffsbug. Ihm bot sich ein schier unglaublicher Anblick: Der gesamte Bug bestand aus einem riesigen Krähengesicht! Dort, wo sich bei alten Segelschiffen eigentlich die Galionsfigur befand, ragte ein krummer Krähenschnabel hervor, der sich weit über die Wellen zog.
    Erst jetzt erkannte Simon, dass dieses Krähengesicht in den Holzflügel mündete, in dessen Schatten er vorhin gerudert war.
    Langsam stand Simon auf. Er wollte versuchen, das Schiff in seiner gesamten Größe zu sehen. Zwar hatte er einige Mühe, das Gleichgewicht in dem Boot zu halten, aber nun konnte er alles sehen. Von dem Krähenkopf am Bug bis hin zu dem hohenKajütenaufbau am Heck, Einzelheiten, die Simon vorher nicht wahrgenommen hatte: Die gesamte Front der Kajüte bestand aus Fenstern. Simon glaubte, einen schwachen Lichtschein wahrzunehmen. Doch er konnte nicht erkennen, ob der Schein von Kerzen herrührte oder ob sich vielleicht nur die Flammen der Mastfackeln im Glas der Fenster widerspiegelten.
    Dieses Schiff war unheimlich. Und überwältigend. Alles war so perfekt, so lebensecht gearbeitet, dass Simon glaubte, einem riesigen Vogel gegenüberzusitzen. Der Bug als Kopf, der Rumpf als Körper, mit gewaltigen Flügeln aus Holz an den Seiten.
    Auf was für ein Wunderwerk war er hier gestoßen?
    Plötzlich hatte er nur noch einen einzigen Wunsch: Er musste unbedingt auf dieses seltsame Schiff! Er wollte nur noch über dessen morsche Planken laufen und mit seinen Händen die Masten berühren.
    An der Backbordseite entdeckte er eine Strickleiter, die von der Bordwand herabhing. Er ruderte näher an das Schiff heran, und trotz der Wellenbewegungen des Meeres gelang es ihm, die unterste Sprosse der Leiter zu ergreifen.
    Gerade wollte er sich daran hochziehen, als ihm doch starke Zweifel kamen. So beeindruckend dieses Schiff auch war, Simon hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn dort oben erwartete. Er wusste nicht, was für eine Mannschaft diesen Kahn steuerte!
    Und er wusste nicht einmal genau, wo er sich befand. Sollte er sich wirklich auf dieses unheimliche Schiff wagen?
    Er atmete tief ein und versuchte noch einmal, einen Blick auf sein Zuhause zu werfen. Doch vergeblich. Der Nebel, der das Schiff umhüllte, war inzwischen so dicht, dass er die Umrisse der gesamten Stadt verschluckt hatte.
    Also zog sich Simon mit einem kräftigen Ruck an der Strickleiter in die Höhe. Seine Füße fanden Halt auf den ersten Sprossen und unter einiger Anstrengung kletterte er im Zeitlupentempo an der Strickleiter nach oben.
    Es war ihm unmöglich, sich geräuschlos zu bewegen. Immer wieder stieß er mit seinen Schultern gegen den Schiffskörper.
    Dann, endlich konnte er einen ersten Blick über die Bordwand wagen: dunkles, morsches Holz, wohin er blickte. Auf dem rissigen Holzdeck standen Fässer und in allen Ecken lagen aufgerollte
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