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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs
Autoren: Philip K. Dick
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weiß, sie ist veraltet, aber mir hat sie immer gefallen.«
    »Du solltest dich besser anziehen«, sagte er sanft.
    »Okay.« Sie nickte pflichtschuldig und trippelte davon, um ihre Arbeitshose und die hohen Stiefel aus weichem Leder zu holen, an denen sie so sehr hing. »Ich bin dabei, es auswendig zu lernen, weil ich schließlich deine Frau bin und es so eng mit unserer – ich meine, deiner – Arbeit zusammenhängt. Siehe. Ich meine, so fängt es an; ich zitiere. ›Siehe. Ich enthülle euch ein Geheimnis: wir werden nicht sterben, sondern wir werden verwandelt werden, blitzartig, in einem Augenblick, beim Klang der letzten Posaune.‹«
    »Und die erklang«, sagte Sebastian nachdenklich, während er geduldig darauf wartete, daß sie mit dem Anziehen fertig wurde, »an einem Junitag des Jahres 1986.« Zu jedermanns Überraschung, dachte er – natürlich abgesehen von Alex Hobart, der es vorausgesagt hat und nach dem der Retrozeit
    Effekt benannt worden ist.
    »Ich bin fertig«, sagte Lotta stolz; sie trug Stiefel, Arbeitshose, Pullover und, wie er wußte, darunter ihren Pyjama; er lächelte, als er daran dachte, daß sie es getan hatte, um Zeit zu sparen, damit er nicht zu spät kam.
    Zusammen verließen sie ihr Konapt; sie fuhren mit dem Expreßlift zum Landedach des Gebäudes, wo sie ihren Schwebewagen abgestellt hatten.
    »Ich für meinen Teil«, erklärte er, als sie die Nachtfeuchtigkeit von der Windschutzscheibe des Wagens wischte, »ziehe die alte King-James-Übersetzung vor.«
    »Die habe ich nie gelesen«, sagte sie mit kindlicher Offenheit, und es klang, als meine sie: Aber ich werde sie lesen; das verspreche ich.
    »Wenn ich mich richtig erinnere«, fügte Sebastian hinzu, »lautet die Passage in dieser Übersetzung folgendermaßen: ›Und siehe! Ich sage euch ein Geheimnis. Wir werden nicht entschlafen; wir werden uns verwandeln …‹ und so weiter. In dieser Art. Aber ich erinnere mich an das ›Und siehe‹. Mir gefällt das besser als das einfache ›Siehe‹.« Er startete den Motor des Schwebewagens, und sie hoben ab.
    »Vielleicht hast du recht«, meinte Lotta, wie stets bereit, ihm zuzustimmen, zu ihm aufzublicken – schließlich war er um vieles älter als sie – in ihm eine Autorität zu sehen. Es gefiel ihm immer wieder. Und es schien auch ihr zu gefallen. Er lehnte sich zurück, tätschelte liebevoll ihr Knie; wie immer erwiderte sie die Geste der Zuneigung; die Liebe, die sie füreinander empfanden, wanderte zwischen ihnen hin und her, ohne Widerstand, ohne Mühe; es war ein ungestörter Rückkoppelungsprozeß.

    Der junge und pflichtbewußte Polizist Tinbane erwartete sie hinter den spitzen Gitterstäben des verfallenen Friedhofzauns. »‘n Abend, Sir«, sagte er zu Sebastian und grüßte; für Tinbane war alles, was er tat, während er seine Uniform trug, eine Amtshandlung, die er selbstredend ohne persönliche Anteilnahme vollzog. »Ihr Techniker ist vor ein paar Minuten ein getroffen und gerade dabei, einen provisorischen Luftschacht zu bohren. Es war reines Glück; ich kam zufällig vorbei.« Der Polizist bemerkte Lotta erst jetzt und begrüßte sie. »Guten Abend, Mrs. Hermes. Tut mir leid, daß es so kalt ist; wollen Sie sich in den Streifenwagen setzen? Die Heizung ist an.«
    »Ist schon in Ordnung«, erwiderte Lotta; sie verdrehte den Kopf und hielt Ausschau nach Bob Lindy, der sich bereits an die Arbeit gemacht hatte. »Spricht sie immer noch?« fragte sie Tinbane.
    »Sie plappert einem die Ohren voll«, nickte Tinbane; er wies ihr und Sebastian mit seiner Taschenlampe den Weg zu dem Lichtkreis, wo sich Bob Lindy schon seit längerem abmühte. »Zuerst mir; jetzt Ihrem Techniker.«
    Lindy hatte sich auf Händen und Knien niedergelassen und betrachtete die Meßskalen des Bohrgeräts; er blickte weder auf noch grüßte er sie, obwohl er sich ihrer Gegenwart zweifellos bewußt war. Für Lindy kam zuerst die Arbeit; Höflichkeit rangierte ganz am Schluß.
    »Sie behauptet, daß sie Verwandte hat«, sagte Tinbane zu Sebastian. »Hier; ich habe alles notiert; ihre Namen und Adressen. In Pasadena. Aber sie ist senil; sie wirkt verwirrt.« Er sah sich um. »Kommt Ihr Arzt bestimmt? Ich glaube, er wird gebraucht; Mrs. Benton sagte etwas von der Brightschen Krankheit; offenbar ist sie daran gestorben. Möglicherweise muß er eine künstliche Niere anschließen.«
    Mit eingeschalteten Landescheinwerfern setzte ein Schwebewagen auf. Dr. Sign stieg aus; er trug einen wärmespeichernden,
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