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Die Weltenwanderer

Die Weltenwanderer

Titel: Die Weltenwanderer
Autoren: Liane Sons
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kurzen, blonden Haar, legte den Sicherheitsgurt an und zuckte die Achseln. »Tut mir leid. Karl bestand darauf, genau abzurechnen. Als ob jemals etwas nicht gestimmt hätte. Hat mir auch den Lohn ausbezahlt. Aber jetzt sag schon, was los ist! Hast mir ’nen gewaltigen Schrecken eingejagt.«
    Er stutzte, denn irgendetwas kam ihm seltsam vor, und wandte sich um.
    »Halt an, Leona! Der Wohnwagen ist abgekuppelt. Das war bestimmt dieser blöde Roy Maibaum von der Geisterbahn. Wir müssen zurück.«
    »Im Leben nicht!«
    »Was?« Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Spinnst du? Was ist mit deiner Wahrsagerhöhle? Die hab ich erst letzte Woche rot gestrichen. Was ist mit meinen Klamotten, mit meiner Gitarre? Für die hab ich ein Jahr gespart. Wir können doch nicht ...«
    »Nicht jetzt«, kreischte sie, fügte aber ruhiger an: »Deine Gitarre ist im Kofferraum. Ich erklär dir alles später. Okay?«
    Die Besucher des Festzelts strebten ebenfalls dem Ausgang zu, grölten und torkelten über die gesamte Breite des Weges. Immer wieder musste sie bremsen. Sie schrammte das Kassenhäuschen des Kettenkarussells, als sie einem der Wirklichkeit entrückten Liebespärchen auswich, und fluchte:
    »Verdammt! Ein knutschendes Paar auf dem Kühler hätte mir gerade noch gefehlt.«

    Erik sah ein, dass Leona sich auf den Verkehr konzentrieren musste, da auch die angrenzenden, engen Straßen durch Menschengruppen und ausparkende Wagen verstopft waren, und übte sich in Geduld.
    Von Natur aus ein unaufgeregter Typ steckte ihn schnell die Nervosität seiner Schwester an, denn die war ebenfalls nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Doch heute war sie anders. Sie hatte sich nicht einmal abgeschminkt. Weder die angeklebten Wimpern noch die dicke Puderschicht oder der knallrote Mund passten zu ihrem sportlichen Typ.
    Doch, dass sie »Madam Fortuna« zum ersten Mal nicht gänzlich abgelegt hatte, war nicht das Schlimmste. Ständig sah sie von einem Spiegel in den anderen, lenkte das Fahrzeug schließlich in eine Parklücke und stellte den Motor ab. Bevor er etwas fragen konnte, legte sie den Finger auf die Lippen. Angestrengt beobachtete sie den fließenden Verkehr, bevor sie wieder ausparkte und stadtauswärts fuhr.
    Erik sah sich mittlerweile ebenfalls nach allen Seiten um, ohne jedoch zu wissen, wonach er Ausschau hielt. Davon, dass sie sich auf der Flucht befanden, ging er aus, und es fiel ihm immer schwerer, seine Schwester nicht zur Rede zu stellen.

    Endlich erreichten sie die Autobahn, die nahezu unbefahren in tiefer Dunkelheit lag. Leona umklammerte weniger krampfhaft das Steuer und ließ sich in den Sitz sacken.
    »Ist jetzt Zeit für eine Erklärung?«, wollte er wissen, während er seine kalten Hände knetete.
    Sie passierten gerade ein Autobahnschild, und sie nickte.
    »Ich weiß zumindest, wohin wir fahren: zum Flughafen! Übernächste Ausfahrt! Du hast deinen Ausweis dabei?«
    »Ja, klar!« Ihm schwirrte der Kopf. Das ging alles zu schnell und ergab keinen Sinn. »Wohin fliegen wir denn?«
    Sie lachte auf: nicht amüsiert, eher hysterisch.
    »Wo ist deine Lust auf Abenteuer geblieben? Wie oft hast du davon gesprochen, du würdest gern einmal etwas Spannendes erleben? Wir nehmen den ersten Flieger, der ins Ausland geht, wenn möglich in die Sonne.«
    Erik seufzte und rubbelte seine Nase. Natürlich hatte er, wie wohl jeder in seinem Alter, von Abenteuern geträumt, obwohl sein Alltag ohnehin alles andere als normal war. Seine Welt war die Kirmes. Madame Fortuna war wohl eine der wenigen Wahrsagerinnen, die sogar Stammkunden in verschieden Städten hatte. In der Winterpause trat sie häufig im Varieté auf, hatte sämtliche Angebote für eine langfristigere Beschäftigung jedoch stets abgelehnt. Sah sie nicht in ihre Glaskugel, schraubte sie am alten Wagen herum, reparierte die Spülung im Wohnwagen oder half ihm bei seinen Schulaufgaben.
    Leona war dreißig, fünfzehn Jahre älter als er. Sie war gebildet und unglaublich talentiert, wenn es um die Reparatur von Maschinen ging. Leider war sie auch unglaublich vergesslich, wenn es um so schlichte Dinge ging wie Standgebühren.
    »Hast du wieder vergessen, den Gewerbeschein zu verlängern, oder Steuern zu zahlen? Müssen wir deswegen weg?«
    »Ich wünschte, es wäre so. Du ...«
    Zwei Limousinen überholten sie.
    Sekundenlang sah Erik nur glitzerndes Rot in der nassen Frontscheibe. Dann sah er ein Schild: nächste Ausfahrt: 1000 Meter, Ausfahrt Flughafen: 5000 Meter!
    Ein
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