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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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die Wand, so sehr war ich mit meinem Findling beschäftigt. Manchmal blieb die Kuh plötzlich stehen und fing an zu grasen, dann legte Luchs sich in ihre Nähe und ließ sie nicht aus den Augen. Wenn es ihm zu lange dauerte, stieß er sie sanft an, und sie setzte sich gehorsam wieder in Bewegung. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber in der folgenden Zeit hatte ich manchmal den Eindruck, daß sich Luchs sehr gut auf den Umgang mit Kühen verstand. Ich glaube, der Jäger mußte ihn manchmal als Wachhund benützt haben, wenn er im Herbst seine Kühe auf die Wiese trieb.
    Die Kuh schien völlig ruhig und zufrieden zu sein. Sie hatte nach zwei schrecklichen Tagen einen Menschen gefunden,war von der schmerzenden Milchlast befreit worden und dachte gar nicht daran wegzulaufen. Irgendwo mußte es einen Stall geben, in den dieser neue Mensch sie treiben würde. Hoffnungsvoll schnaubend, trabte sie an meiner Seite dahin. Als wir mit einiger Mühe den Bach überschritten hatten, wurde sie sogar schneller, und schließlich konnte ich kaum Schritt halten.
    Inzwischen war mir klargeworden, daß diese Kuh zwar ein Segen, aber auch eine große Last war. Von größeren Erkundungsausflügen konnte nicht mehr die Rede sein.
    So ein Tier will gefüttert und gemolken werden und verlangt einen seßhaften Herrn. Ich war der Besitzer und der Gefangene einer Kuh. Aber selbst wenn ich die Kuh gar nicht gewollt hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, sie zurückzulassen. Sie war auf mich angewiesen.
    Als wir die Lichtung erreichten, es war schon fast dunkel, blieb die Kuh stehen, wandte den Kopf zurück und muhte leise und freudig. Ich führte sie zur Jägerhütte. Dort drinnen gab es nur zwei Bettstellen in Kojenart, einen Tisch, eine Bank und einen gemauerten Herd. Ich trug den Tisch ins Freie, riß den Strohsack aus einer der Bettstellen und führte die Kuh in ihren neuen Stall. Er war geräumig genug für eine Kuh. Ich nahm ein Blechschaff vom Herd, füllte es mit Wasser und stellte es in die leere Bettstatt. Mehr konnte ich an diesem Abend nicht für meine Kuh tun. Ich streichelte sie, erklärte ihr die neue Lage und verriegelte dann den Stall.
    Ich war so müde, daß ich mich fast nicht zum Jagdhaus schleppen konnte. Meine Füße brannten in den schweren Schuhen, und das Kreuz tat mir weh. Ich fütterte Luchs und trank Kakao aus der Thermosflasche.Die Butterbrote konnte ich vor Müdigkeit nicht essen. An diesem Abend wusch ich mich kalt am Brunnen und ging dann sofort ins Bett. Luchs schien auch müde zu sein, denn er kroch gleich nach dem Fressen ins Ofenloch.
    Der folgende Morgen war nicht mehr so unerträglich wie der vergangene, denn sowie ich die Augen aufschlug, fiel mir die Kuh ein. Ich war sofort hellwach, aber noch sehr zerschlagen von den ungewohnten Anstrengungen. Ich hatte mich auch ein wenig verschlafen, das Sonnenlicht fiel schon in gelben Streifen durch die Spalten der Fensterläden.
    Ich stand auf und ging an meine Arbeit. Es gab eine Menge Geschirr im Jagdhaus, und ich bestimmte einen Eimer als Melkeimer und ging damit in den Stall. Die Kuh stand brav vor der Bettstatt und begrüßte mich mit freudigem Gesichtabschlecken. Ich molk sie, und es ging schlechter, als am Vortag, weil mir jeder Knochen weh tat. Melken ist eine außerordentlich anstrengende Arbeit, und ich mußte mich erst wieder an sie gewöhnen. Ich kannte aber die richtigen Griffe, und das war für mich das wichtigste. Da ich kein Heu hatte, trieb ich die Kuh nach dem Melken auf die Waldwiese und ließ sie dort grasen. Ich wußte genau, sie würde nicht mehr von mir weglaufen.
    Dann endlich frühstückte ich, warme Milch und die hartgewordenen Butterbrote vom Vortag. Der ganze Tag, daran erinnere ich mich deutlich, gehörte der Kuh. Ich richtete ihr den Stall her, so gut es mir eben möglich war; breitete ihr grüne Zweige unter, weil ich keine Streu hatte, und legte mit ihrem ersten Mist den Grundstein zu einem Misthaufen neben der Hütte.
    Der »Stall« war solide gebaut, aus kräftigen Stämmen. Unter dem Dach, im Winkel, war ein kleinerRaum, den ich später mit Streu vollstopfte. Aber damals im Mai gab es noch keine Streu, und ich mußte mich bis zum Herbst mit frischen Zweigen behelfen.
    Natürlich dachte ich auch über die Kuh nach. Wenn ich besonderes Glück hatte, erwartete sie ein Kalb. Aber darauf durfte ich mich nicht verlassen, ich konnte nur hoffen, meine Kuh werde möglichst lange Milch geben.
    Immer noch dachte ich an meine Lage als an einen
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