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Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

Titel: Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Autoren: LISA RANDALL
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strengen Standards, die sie anwenden, um abzusichern, dass sie richtigliegen. Kreative Menschen glauben notwendigerweise, dass sie in einer einzigartigen Position sind, um einen Beitrag zu leisten – während sie dabei immer auch die vielen Gründe im Blick behalten, an die andere schon gedacht haben mögen, während sie ähnliche Ideen ablehnten.
    Naturwissenschaftler, die abenteuerlustige Ideen hatten, konnten auch sehr vorsichtig sein, wenn sie diese Ideen vorstellten. Zwei der einflussreichsten, Isaac Newton und Charles Darwin, warteten eine ganze Weile, bevor sie ihre großen Ideen der Außenwelt mitteilten. Charles Darwins Forschungen zogen sich über viele Jahre hinweg, und er veröffentlichte Die Entstehung der Arten erst, nachdem er ausführliche empirische Forschungen abgeschlossen hatte. Newtons Principia stellten eine Gravitationstheorie vor, die über ein Jahrzehnt in Entwicklung begriffen war. Er wartete mit der Veröffentlichung, bis er einen zufriedenstellenden Beweis dafür hatte, dass Körper von beliebiger räumlicher Ausdehnung (und nicht nur punktförmige Gegenstände) ein Abstandsquadratgesetz befolgen. Der Beweis seines Gesetzes, das besagt, dass die Gravitationskraft mit dem Quadrat des Abstands vom Zentrum eines Gegenstands abnimmt, führte Newton zur Entwicklung der Mathematik der Infinitesimalrechnung.
    Manchmal ist eine neue Formulierung eines Problems nötig, um es auf die richtige Weise zu sehen und die Grenzen neu zu definieren, so dass man eine Lösung finden kann, wo es auf Anhieb keine zu geben scheint. Beharrlichkeit und Glaube haben oft einen großen Einfluss auf das Ergebnis – nicht religiöser Glaube, sondern der Glaube, dass eine Lösung existiert. Erfolgreiche Naturwissenschaftler – und kreative Menschen aller Art – weigern sich, in Sackgassen steckenzubleiben. Wenn wir ein Problem nicht auf die eine Weise lösen können, suchen wir nach einem anderen Weg. Wenn wir auf ein Hindernis stoßen, graben wir einen Tunnel, finden eine andere Richtung oder fliegen darüber hinweg und verschaffen uns einen Überblick. An dieser Stelle kommen das Vorstellungsvermögen und auf den ersten Blick verrückt erscheinende Ideen ins Spiel. Um weiterzumachen, müssen wir an die Existenz einer Antwort glauben und darauf vertrauen, dass die Welt letztlich eine widerspruchsfreie innere Logik besitzt, die wir am Ende entdecken können. Wenn wir über etwas von der richtigen Perspektive aus nachdenken, können wir häufig Verbindungen finden, die uns ansonsten entgehen würden.

Abb. 81: Beim Neun-Punkte-Problem geht es darum, wie man alle Punkte miteinander verbinden kann, indem man nur vier gerade Striche zieht, ohne den Stift vom Papier abzuheben.
    Der Ausdruck »um die Ecke denken« kommt nicht daher, dass man aus seiner Arbeitsnische herausgeht [5]   (wie ich es einst für möglich hielt), sondern geht auf das Neun-Punkte-Problem zurück, das verlangt, dass man neun Punkte durch vier Striche miteinander verbindet, ohne den Stift vom Papier abzuheben (siehe Abbildung 81). Das Neun-Punkte-Problem ist unlösbar, wenn man den Stift innerhalb der Grenzen des Quadrats halten soll, aber niemand hat gesagt, dass das erforderlich sei. »Um die Ecke zu denken« (d.h. das Verlassen dieser Begrenzung) führt zur Lösung (siehe Abbildung 82). An dieser Stelle könnte einem klarwerden, dass man das Problem auch auf eine Reihe von anderen Weisen lösen kann. Wenn man große Punkte verwendet, kann man mit drei Strichen auskommen. Wenn man das Papier faltet (oder eine wirklich breite Linie malt, wie anscheinend ein kleines Mädchen dem Erfinder des Problems vorschlug), kann man mit nur einem Strich auskommen.
    Diese Lösungen sind keine Mogelei. Das wären sie nur, wenn man weitere Einschränkungen annimmt. Leider ermuntert das Bildungssystem die Schüler manchmal, nicht nur zu lernen, wie man Probleme löst, sondern auch die Absicht des Lehrers zu erraten – was das Spektrum richtiger Antworten und potentiell auch den Geist der Schüler einengt. In Das Quark und der Jaguar [72]   erwähnt Murray Gell-Mann die »Barometer-Geschichte« [73]   des Physikprofessors Alexander Calandra von der Washington University, in der er von einem Lehrer erzählt, der sich nicht sicher war, ob er einem Schüler Punkte geben sollte.

Abb. 82: Mögliche kreative Lösungen des Neun-Punkte-Problems umfassen »um die Ecke denken«, das Papier so zu falten, dass die Punkte sich auf einer Linie befinden oder einen
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