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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit
Autoren: B Greene
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der Atome und subatomaren Teilchen abspielen. Die Quantenmechanik brach aus dem Korsett des früheren begrifflichen Rahmens, der klassischen Mechanik, aus und zeigte, dass bestimmte grundlegende Vorhersagen der Wissenschaft notwendigerweise Wahrscheinlichkeitscharakter haben. Wir können dann zwar die Wahrscheinlichkeit, zu einem bestimmten Ergebnis zu gelangen, voraussagen, wir können die Wahrscheinlichkeit für ein anderes Ergebnis vorhersagen, aber im Allgemeinen können wir nicht voraussagen, welche der verschiedenen Möglichkeiten tatsächlich eintreten wird. Schon diese allgemein bekannte Abkehr von jahrhundertealten wissenschaftlichen Denkweisen ist überraschend genug. Die Quantentheorie hat jedoch einen noch verwirrenderen Aspekt, der weniger Aufmerksamkeit erregt hat. Obwohl die Quantenmechanik jahrzehntelang eingehend erforscht wurde und dabei eine Fülle von Daten zusammengekommen sind, welche die mit ihrer Hilfe
berechneten Wahrscheinlichkeiten bestätigen, vermochte bisher niemand zu erklären, warum sich in einer bestimmten Situation nur eines der vielen möglichen Ergebnisse einstellt. Wenn wir Experimente machen, wenn wir die Welt erforschen, sind wir uns alle einig, dass wir auf eine einzige, eindeutige Wirklichkeit treffen. Aber noch heute, mehr als ein Jahrhundert nach Beginn der Quantenrevolution, besteht unter den Physikern keine Einigkeit in der Frage, wie sich diese grundlegende Tatsache mit dem mathematischen Formalismus der Theorie verträgt.
    Diese beträchtliche Wissenslücke gab im Laufe der Jahre den Anlass zu vielen kreativen Vorschlägen. Der verblüffendste war gleichzeitig einer der ersten: Vielleicht, so die Aussage, ist die vertraute Vorstellung, jedes Experiment würde zu einem einzigen Ergebnis führen, ja falsch. Die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik – oder zumindest eine Sichtweise darauf – legen die Vermutung nahe, dass alle möglichen Ergebnisse sich auch einstellen, wobei jedes davon in einem anderen Universum zu Hause ist. Wenn eine quantentheoretische Berechnung vorhersagt, dass ein Teilchen hier oder dort sein könnte, ist es im einen Universum hier und im anderen ist es dort. Und in jedem derartigen Universum befindet sich auch ein Exemplar von uns, die wir das eine oder andere Ergebnis beobachten und – zu Unrecht – glauben, unsere Realität sei die einzige. Wenn man sich klarmacht, dass die Quantenmechanik die Basis aller physikalischen Prozesse darstellt, von der Verschmelzung der Atome in der Sonne bis zu den Nervenimpulsen, die das Substrat für unser Denken bilden, wird die Tragweite einer solchen Vorstellung deutlich. Sie besagt, dass es keine verpassten Chancen, keine nicht eingeschlagenen Wege gibt. Aber jeder derartige Weg – jede Wirklichkeit – ist vor allen anderen verborgen.
    Dieser faszinierende Viele-Welten -Ansatz der Quantenmechanik hat in den letzten Jahrzehnten großes Interesse auf sich gezogen. Wie genauere Untersuchungen indes gezeigt haben, birgt auch dieser theoretische Rahmen einige Schwierigkeiten (Näheres darüber in Kapitel 8); entsprechend ist der Vorschlag noch heute, nach einem halben Jahrhundert gründlicher Untersuchungen, umstritten. Manche Quantentheoretiker vertreten die Ansicht, seine Richtigkeit sei bereits bewiesen, andere behaupten mit der gleichen Überzeugung, die zugrunde liegende Mathematik würde schlicht nicht funktionieren.
    Trotz solcher wissenschaftlichen Unsicherheiten fand diese frühe Version der Paralleluniversen ihren Widerhall in Literatur, Film und Fernsehen, wo die Thematik separater Welten oder alternativer geschichtlicher Abläufe bis heute Anlass zu kreativen Streifzügen bietet. (Zu meinen Lieblingen gehören seit Kindertagen Der Zauberer von Oz , Ist das Leben nicht schön?, die Raumschiff-Enterprise
-Episode Griff in die Geschichte , die Kurzgeschichte Der Garten der Pfade, die sich verzweigen von Jorge Luis Borges und aus jüngerer Zeit Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht und Lola rennt .) Insgesamt haben diese und viele andere Werke der Alltagskultur dazu beigetragen, dass die Vorstellung von parallelen Realitäten in den Zeitgeist Eingang fand und eine größere Öffentlichkeit fasziniert. Aber die Quantenmechanik ist nur eine von vielen Möglichkeiten, durch die sich aus der modernen Physik ein Konzept von Paralleluniversen herauskristallisieren lässt. Und es wird auch nicht die erste sein, die ich erörtere.
    In Kapitel 2 schlage ich zunächst einen anderen Weg zu den
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