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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Autoren: Christoph Marzi
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angetan. Er schreibt gerade eine Arbeit über Nebukadnezar.«Ägypten und Orient waren seine Steckenpferde gewesen. »Er arbeitet mit Maurice Micklewhite zusammen«, hatte sie unnötigerweise erklärt, denn auch Emily kannte den jungen Mann. Des Öfteren war sie ihm in den Gängen des Museums über den Weg gelaufen, wenn sie Aurora besucht hatte, die dort von Master Micklewhite in die Kunst des Bibliothekswesens eingewiesen wurde.
    »Sie war so glücklich gewesen.« Traurig klang diese feststellung aus dem Mund des Mädchens, das blass und ausgezehrt neben mir herging. Müde betrachtete sie die Passanten auf der Rolltreppe in Barkingside. All diese Menschen eilten ihrem Zuhause entgegen, und die wenigsten von ihnen ahnten auch nur im Entferntesten, dass sich hinter den gekachelten Wänden mit den Werbeplakaten und unter den schmutzigen betonierten Böden, die Millionen von Schritten am Tag ertragen mussten, eine Welt lag, die sie niemals in ihrem Leben zu Gesicht bekommen würden.
    »Immerhin können wir nun erahnen, was den beiden widerfahren ist«, sagte ich vorsichtig.
    Seit zwei Tagen hatte man die beiden Wissenschaftler schon vermisst, die sich, wie mir Maurice Micklewhite in vagen Andeutungen mitgeteilt hatte, im Rahmen einer Feldforschung in die uralte Metropole hinabbegeben hatten. Etwas war dort unten geschehen, was in Alexander Grants und Amrish Seths Forschungsgebiet fiel.
    »Er hat Amrish Seth getötet.« Noch immer konnte Emily nicht fassen, was sie gesehen hatte. »Wie ein Tier hat Alexander Grant ausgesehen.«
    »Er hat wohl«, mutmaßte ich, »im Auftrag der mysteriösen Frau gehandelt.«
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Nein.«
    Mit Schaudern rief sich Emily die Bilder ins Gedächtnis zurück.
    »Wer, glauben Sie, war die Frau im Hintergrund? Sie sah aus, als habe sie jemand aus Stein gemeißelt. Ganz unmenschlich und doch wieder nicht.« Emily hatte Mühe, das Bildnis jenes Wesens zu fassen. »Alexander Grant konnte ich deutlich vor mir sehen, nicht jedoch die Frau.«
    »Sind Sie sicher, dass es eine Frau war?«
    Das Mädchen nickte.
    »Haben Sie eine Vermutung, Wittgenstein? Wer war sie?«
    »Das herauszufinden, wird unsere Aufgabe sein.«
    Emily kickte eine zerbeulte Bierdose vor sich her. »Na, toll.«
    Ich strich mir eine Strähne des langen Haars aus dem Gesicht.
    »Seien Sie nicht ungeduldig.«
    »Bin ich aber doch.« Emily musterte mich streng. »Ich mag es nicht, wenn Sie mir etwas verheimlichen. Erinnern Sie sich? Sie haben mir damals versprochen, dass sie von nun an mit offenen Karten zu spielen gedenken.«
    Ob ich mich daran erinnerte?
    Dieses Kind!
    »Maurice Micklewhite hat mich noch nicht vollständig informiert«, gab ich zur Antwort. »Und McDiarmid aus Islington hat nur die Notwendigkeit schneller Ermittlungen in diesem Fall betont.«
    »Er tut immer so geheimnisvoll.«
    »Das klingt nahezu spöttisch.«
    »Soll es auch.«
    »Man hat Schriftzeichen gefunden, irgendwo tief unten in der Gegend um Brick Lane Market.«
    »In welcher Sprache?«
    »Sanskrit, vermute ich.«
    Das würde zumindest erklären, weshalb Seth und Grant mit den Nachforschungen betraut worden waren.
    »Vetala-pancha-Vinshati?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie, was es bedeutet?«
    »Das haben Sie mich bereits vorhin gefragt.«
    »Und haben Sie mir etwa geantwortet?«
    Ich warf ihr einen Blick zu, der alles bedeuten konnte.
    »Üben Sie sich in Geduld, Emily.«
    Dann betraten wir den Bahnsteig von Barkingside und reihten uns in den Strom von Leibern ein, die alle mit leeren Blicken hinüber zur gähnenden Tunnelöffnung starrten und der Ankunft der Central Line harrten.
    »Etwas geschieht in der Metropole.«
    Unschwer errieten wir die Gedanken des jeweils anderen.
    »Glauben Sie«, fragte Emily schließlich, »dass es etwas mit
ihm
zu tun hat?«
Denn alles
, erinnerte sie sich der Worte des Engels,
wird irgendwann wieder leben.
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich hoffte, dass es nicht so war.
    Ein lauer Wind, der nach abgestandener Luft roch, wehte uns allen in die Gesichter und kündete vom Herannahen des Zuges.
    Der Geruch der uralten Metropole.
    »Wir werden es herausfinden«, versprach ich dem Mädchen.
    Mit lautem Getöse schoss der Zug in den Bahnhof, kam rauschend zum Stillstand und schluckte binnen einer halben Minute die Masse einander mit genervt herablassenden Gesichtszügen musternder Angestellter und Arbeiter, die voller Ungeduld und jenseits aller Rücksichtnahme ins Innere der engen Wagen drängte.
    »Dumme Menschen«,
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