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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte
Autoren: Michael Ende
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ihn wegen des Diebstahls bestrafen oder anzeigen oder noch Schlimmeres tun, für einen, der solche Abenteuer hinter sich hatte wie Bastian, gab es nicht mehr leicht etwas, das ihm Angst machte. Aber das Buch war nicht da.Bastian suchte und suchte, er wühlte die Decken um und schaute in jeden Winkel. Es half nichts. Die Unendliche Geschichte war verschwunden.
    »Nun gut«, sagte sich Bastian schließlich, »dann muß ich ihm eben sagen, daß es weg ist. Er wird mir sicherlich nicht glauben. Ich kann es nicht ändern. Mag daraus werden, was will. Aber wer weiß, ob er sich überhaupt noch erinnert nach so langer Zeit? Vielleicht gibt es den Buchladen gar nicht mehr?«
    Das würde sich bald herausstellen, denn zunächst mußte er ja nun einmal durch die Schule gehen. Wenn die Lehrer und Kinder, denen er begegnen würde, ihm fremd wären, dann würde er wissen, womit er zu rechnen hatte.
    Aber als er nun die Speichertür aufschloß und in die Gänge des Schulhauses hinunterstieg, empfing ihn dort völlige Stille. Keine Menschenseele schien sich im Gebäude zu befinden. Und doch schlug die Uhr auf dem Schulturm gerade neun. Es war also Vormittag, und der Unterricht hätte längst begonnen haben müssen.
    Bastian blickte in einige Klassenzimmer, aber überall herrschte die gleiche Leere. Als er an eines der Fenster trat und auf die Straße hinunterblickte, sah er dort einige Menschen gehen und Autos fahren. Die Welt war also wenigstens nicht ausgestorben.
    Er lief die Treppen hinunter zum großen Eingangstor und versuchte es zu öffnen, aber es war abgeschlossen. Er wandte sich zu der Tür, hinter der die Hausmeisterwohnung lag, klingelte und klopfte, aber niemand rührte sich.
    Bastian überlegte. Er konnte unmöglich warten, ob vielleicht doch irgendwann einmal jemand kommen würde. Er wollte jetzt zu seinem Vater. Auch wenn er das Wasser des Lebens verschüttet hatte.
    Sollte er ein Fenster öffnen und so lange rufen, bis jemand ihn hörte und dafür sorgte, daß die Tür aufgeschlossen würde? Nein, das schien ihm irgendwie beschämend. Ihm fiel ein, daß er ja aus dem Fenster klettern konnte. Sie waren von innen zu öffnen. Aber die Fenster im Erdgeschoß waren alle vergittert. Dann kam ihm in den Sinn, daß er bei seinem Blick aus dem ersten Stockwerk auf die Straße hinunter, ein Baugerüst bemerkt hatte. Offenbar wurde an einer Außenmauer der Schule der Verputz erneuert.
    Bastian stieg wieder in das erste Stockwerk hinauf und ging zu dem Fenster. Es ließ sich öffnen, und er stieg hinaus.
    Das Gerüst bestand nur aus senkrechten Balken, zwischen denen in gewissen Abständen waagrechte Bretter lagen. Die Bretter schwangen unter Bastians Gewicht auf und ab. Einen Augenblick lang überfiel ihn ein Schwindelanfall, und Angst stieg in ihm auf, aber er zwang beides in sich nieder. Für einen, der Herr von Perelín gewesen war, gab es hier überhaupt kein Problem - auch wenn er nicht mehr über die fabelhaften Körperkräfte verfügte und das Gewicht seines dicken Körpers ihm doch ein wenig zu schaffen machte. Bedachtsam und ruhig suchte er Griffund Halt für Hand und Fuß und kletterte die senkrechten Balken abwärts. Einmal zog er sich einen Holzsplitter ein, aber solche Kleinigkeiten machten ihm nichts mehr aus. Etwas erhitzt und keuchend, aber wohlbehalten kam er unten auf der Straße an. Niemand hatte ihn beobachtet.
    Bastian rannte nach Hause. Die Federmappe und die Bücher klapperten im Rhythmus seiner Schritte in der Schulmappe, er bekam Seitenstechen, aber er rannte weiter. Er wollte zu seinem Vater.
    Als er endlich zu dem Haus kam, wo er wohnte, blieb er doch für einen Moment stehen und schaute zu dem Fenster hinauf, hinter dem Vaters Labor lag. Und jetzt plötzlich schnürte ihm Bangigkeit das Herz zusammen, weil ihm zum ersten Mal der Gedanke kam, daß der Vater nicht mehr da sein könnte.
    Doch der Vater war da und mußte ihn wohl kommen gesehen haben, denn als Bastian jetzt die Treppen hinaufstürmte, kam er ihm entgegen gelaufen. Er breitete die Arme aus, und Bastian warf sich hinein. Der Vater hob ihn hoch und trug ihn in die Wohnung.
    »Bastian, mein Junge«, sagte er immer wieder, »mein lieber, lieber kleiner Kerl, wo bist du nur gewesen? Was ist dir passiert?«
    Erst als sie am Küchentisch saßen und der Junge heiße Milch trank und Frühstückssemmeln aß, die der Vater ihm fürsorglich dick mit Butter und Honig strich, bemerkte Bastian, wie blaß und mager das Gesicht des Vaters war. Seine
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