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Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson

Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson

Titel: Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
Autoren: Clarke Arthur C.
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frühen Zeitalter am meisten überrascht hätte, war vielleicht das Verschwinden des Nabels gewesen. Seine unerklärliche Abwesenheit hätte ihm reichlich Nahrung zum Nachdenken gegeben. Auf den ersten Blick wäre er sich wahrscheinlich gar nicht so sicher gewesen, ob er es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hatte. Vielleicht hätte er sich sogar zu der Annahme verführen lassen, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern verschwunden war – womit er allerdings einen schweren Fehler begangen hätte. Unter gewissen Umständen ließ kein männlicher Bewohner Diaspars Zweifel an seiner Männlichkeit aufkommen; nur war die dazugehörige Anatomie nun deutlich ordentlicher verpackt als früher und wurde nur hervorgeholt, wenn sie wirklich benötigt wurde. Die natürliche, wenig elegante, ja richtiggehend gefährliche Anordnung war drastisch verbessert worden: Nun war alles akkurat im Körperinneren untergebracht.
    Zugegeben, für die Fortpflanzung war der Körper nicht mehr zuständig – in dieser Hinsicht verließ man sich nicht mehr auf den Zufall, man ließ die Natur nicht mehr mit Chromosomen spielen wie mit Würfeln, das wäre unverantwortlich gewesen. Empfängnis und Geburt wären längst in Vergessenheit geraten, aber der Sex hatte sich gehalten. Schon in der Frühzeit hatte nur ein Hundertstel der sexuellen Aktivität des Menschen tatsächlich der Fortpflanzung gedient. Nun war dieses eine Prozent Vergangenheit, was sich durchaus auf die Struktur der Gesellschaft und auf die Bedeutung von Begriffen wie »Vater« und »Mutter« ausgewirkt hatte. Doch die Lust war dadurch keineswegs verschwunden, auch wenn ihre Befriedigung keinem tieferen Ziel mehr diente als dem Genuss weiterer Sinnenfreuden.
    Alvin verließ seine verspielten Genossen und setzte seinen Weg zum Mittelpunkt des Parks fort. Hier gab es nur wenige ausgewiesene Pfade, die sich zwischen den niedrigen Büschen kreuzten und gelegentlich in schmale Hohlwege zwischen moosbedeckten Felsblöcken hinabtauchten. Einmal kam er an einer kleinen, vielflächigen Maschine vorbei, die nicht größer als der Kopf eines Man nes war und zwischen den Zweigen eines Baumes schwebte. Niemand wusste, wie viele verschiedene Arten von Robotern es in Diaspar gab; sie hielten sich abseits und kümmerten sich so ausschließlich um ihre Arbeit, dass es als äußerst ungewöhnlich gelten konnte, einem von ihnen zu begegnen.
    Kurz darauf begann der Boden wieder anzusteigen; Alvin näherte sich dem kleinen Hügel, der sich genau im Mittelpunkt des Parks und damit auch der Stadt erhob. Hier gab es weniger Hindernisse und Umwege, und er hatte eine gute Sicht auf den Gipfel des Hügels und das schlichte Gebäude auf seiner Spitze. Als er sein Ziel erreicht hatte, war er etwas außer Atem; er lehnte sich an eine der rosig getönten Säulen und blickte auf den Weg zurück, den er gekommen war.
    Es gibt gewisse Formen in der Architektur, die sich niemals ändern werden, weil sie Vollkommenheit erreicht haben. Das Grabmal Yarlan Zeys hätte von den Tempelerbauern der ersten menschlichen Kulturen entworfen sein können, obwohl sie wohl kaum begriffen hätten, aus welchem Material es hergestellt war. Zum Himmel hin öffnete sich das Bauwerk; der Innenraum war mit großen Quadern gepflastert, die nur auf den ersten Blick wie Naturstein aussahen. Seit vielen geologischen Zeitaltern hatten menschliche Füße diesen Boden betreten, immer wieder betreten, ohne die mindeste Spur einer Abnutzung auf dem unvorstellbar widerstandsfähigen Material zu hinterlassen.
    Der Schöpfer des großen Parks – manche meinten sogar, es sei der Gründer Diaspars – saß mit halb niedergeschlagenen Augen da, als prüfe er die auf seinen Knien ausgebreiteten Pläne. Sein Gesicht zeigte diesen eigenartigen, schwer zu fassenden Ausdruck, der die Welt seit so vielen Generationen verwirrte. Einige hatten ihn als bloße Laune des Künstlers abgetan, aber anderen schien es, als lächle Yarlan Zey über einen nur ihm bekannten Scherz.
    Das ganze Gebäude war ein Rätsel, denn in den geschichtlichen Aufzeichnungen der Stadt fand sich nicht der geringste Hinweis darauf. Alvin wusste nicht einmal genau, was das Wort Grabmal bedeutete; wahrscheinlich konnte es ihm Jeserac sagen, der mit Vorliebe veraltete Wörter sammelte und damit zur Verwirrung der Zuhörer seine Gespräche würzte.
    Von seinem Platz aus konnte Alvin weit über den Park, über die Bäume hinaus, bis zur Stadt sehen. Die nächstgelegenen Gebäude,
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