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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters
Autoren: Laura Joh Rowland
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dass man alles tun würde, um in die menschliche Gemeinschaft aufgenommen zu werden! Ihr seid wie alle anderen, die mich meiden und sich über mich lustig machen!«
    Sano beeilte sich, den Dolmetscher zu beschwichtigen, denn er sah eine Möglichkeit, etwas über die Motive für die Morde zu erfahren. »Ich verstehe«, sagte er. »Und ich weiß, wie grausam manche Menschen sein können, egal wie hart wir arbeiten und wie viel Achtung wir verdient haben.«
    »Ja. Ja!« Iishino reagierte mit einem heftigen Nicken auf Sanos aufrichtig gemeinte Bemerkung.
    Sano schlich sich zwischen Iishino und die Tür. »Hat auch Direktor Spaen Euch unrecht behandelt? Musste er deshalb sterben?«
    Iishino verzog kummervoll das Gesicht. »Ich hielt ihn für meinen Freund.« Der Lauf der Waffe senkte sich leicht, und Sano überlegte, ob er versuchen sollte, sie Iishino zu entreißen. Nein, noch nicht … »Oh, ich weiß, dass er höflich zu mir sein musste – besonders, seit ich ihm geholfen habe, seine privaten Warenbestände zu verkaufen. Er war immer sehr freundlich … ich war sicher, er mochte mich tatsächlich. Ich glaubte, dass wenigstens ein Barbar mich und meine Vorzüge zu schätzen wusste, wenn es die eigenen Landsleute schon nicht konnten. Ich war glücklich darüber.«
    Iishino begann zu schluchzen. Er nahm eine Hand von der Pistole und wischte sich die Tränen von den Wangen. Sano nahm allen Mut zusammen und rückte näher an den Mann heran. »Aber dann … an dem Abend in der Höhle … wurde mir klar, dass ich mir nur selbst etwas vorgemacht hatte«, fuhr Iishino fort. »Wir hatten gerade das Boot in die Höhle gefahren – Jan Spaen, Hauptmann Nirin und ich. Wir warteten auf Liu Yun, der mit der Verbrecherbande kommen wollte. Ich war vor Freude ganz aufgeregt. Ich habe gelacht, habe Spaen umarmt und gesagt: ›Aus uns werden die besten Partner auf der ganzen Welt, aus Euch und aus mir – wenngleich ihr Holländer natürlich nicht so klug seid wie wir Japaner.‹«
    Bei der Erinnerung lächelte Iishino unter Tränen; es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, wie sehr er seinen ›Partner‹ damit beleidigt hatte. Plötzlich wurde Iishinos Gesicht düster, und er hob die Waffe an. »Spaen hat mich verspottet! Er hat mich als ein Stück Dreck bezeichnet, als eine Kreatur, die nicht einmal würdig sei, ihm die Schuhe abzulecken. Und gäbe es nicht das Schmuggelgeschäft, sagte er, könnte er überhaupt nichts mit mir anfangen! Da erkannte ich, dass ich mir unsere Freundschaft nur eingebildet hatte … nur eingebildet. Spaen hat mich verachtet – genau wie alle anderen!«
    »Zuerst war ich verletzt, dann wütend. Von einem Barbaren beschimpft und abgewiesen zu werden!« Heißer Zorn loderte in Iishinos Augen. »Spaen hatte seine Waffe dabei. Ich hielt sie in meiner Schreibstube auf Deshima für ihn versteckt, damit er sie für seine sexuellen Spielchen mit seiner Hure benutzen konnte. Außerdem nahm er die Pistole jedes Mal mit, wenn er die Insel verließ. Nun, als er sich abwandte, entriss ich Spaen die Waffe und erschoss ihn.«
    Mit einem Mal erkannte Sano, dass alles, was den Mordfall noch kompliziert gemacht hatte – Spaens schwieriges Verhältnis zu den anderen Barbaren; die Rachegelüste von Abt Liu Yun; die Feinheiten der Beziehungen zwischen Holland und Japan im Handel und der Politik –, für das eigentliche Verbrechen nahezu unbedeutend gewesen war. Direktor Spaen war gestorben, weil ein anderer Mann, Iishino, das grundlegende menschliches Verlangen nach Freundschaft gehabt hatte, ein Motiv, das sämtliche kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Belange in den Schatten stellte. Sano verspürte Mitleid mit diesem Mann, mit dem er sich auf gewisse Weise verwandt fühlte. Sanos eigene Herkunft, seine eigenen Einstellungen hatten bewirkt, dass er im bakufu ein ebensolcher Außenseiter war wie Iishino in der menschlichen Gemeinschaft. Wäre Sano die Anerkennung anderer Menschen so wichtig gewesen wie Iishino, hätte er sich eines Tages möglicherweise in einer ähnlichen Lage wie der Dolmetscher befunden und wäre einer falschen Bemerkung wegen zum Mörder geworden.
    Aber verletzte Gefühle waren keine Rechtfertigung für Mord, und das Mitleid durfte nicht den Blick auf die Gerechtigkeit verstellen. Vorsichtig rückte Sano näher an Iishino heran. »Was geschah dann?«, fragte er.
    »Spaen stürzte zu Boden. Hauptmann Nirin fing an zu schreien. Ich ließ die Waffe fallen und beugte mich über Spaen.« Als
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