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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder
Autoren: T.J. MacGregor
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nicht.«
    Sie lächelte. »Ja, ich weiß, wie es Ihnen geht.«
    Er sah nicht schlecht aus mit seinem wettergegerbten Gesicht, das zeigte, dass er viel Zeit im Freien verbrachte, und Augen in derselben Farbe wie das Wasser in der Dämmerung, Bleifarben umgeben von einem dunklen Blau. Die Sonne hatte sein Haar gebleicht, und er fuhr immer wieder mit den Fingern hindurch, als wollte er das Salz herausbürsten. Er hatte sich einen Rucksack über die rechte Schulter geworfen.
    »Der Motor hat schon Ärger gemacht, als ich angelte. Hat gestottert. Da hätte ich wohl besser umkehren sollen.«
    Sie gingen jetzt auf Annie zu, die neben dem Boot wartete. »Leben Sie auf Tango?«, fragte sie.
    »Key West, und Sie?«
    »Tango.«
    »Sind Sie einfach hier rausgefahren?«
    »Meine Tochter und ich haben einen Tagesausflug gemacht.«
    »Ich heiße Pete«, sagte er.
    »Ich bin Mira, das ist Annie.«
    »Hey«, sagte Annie. »Mom, du musst mir helfen, diese Kühlbox ins Boot zu stellen. Die ist zu schwer für mich.«
    »Ja, klar. Lass mich bloß das Werkzeug für Pete raussuchen. Er hat Probleme mit dem Motor.«
    Sie öffnete die Klappe der Anglerkiste und zog eine Werkzeugtasche hervor. »Ich hoffe, es ist etwas dabei, was Ihnen hilft. Kann ich jemanden für Sie anrufen?«
    »Ich hasse es, Freunde zu belästigen.« Er öffnete die Werkzeugtasche und nickte vor sich hin. »Es ist ganz schön weit hierher.«
    Das unangenehme Gefühl, das sie bislang empfunden hatte, explodierte jetzt zu einem starken Schmerz, der sie scharf den Atem einziehen ließ. »Behalten Sie das Werkzeug, Pete. Wir müssen los und die Fahrt hinter uns bringen, bevor es ganz dunkel ist. Sind Sie sicher, dass Sie nicht wollen, dass ich jemand anrufe?«
    »Danke, ich bin sicher.«
    Dann löste er seinen Blick von dem Werkzeug, und eine zweite Schmerzexplosion ließ sie beinahe in die Knie gehen. In einem entsetzlichen Augenblick wurde ihr klar, dass er die Ursache des Schmerzes war. Sie trat einen Schritt zurück, versuchte zu lächeln und ihr Entsetzen zu verbergen.
    »Viel Glück. Nimm das Tau, Annie. Ich nehme die …«
    Er richtete sich auf, lächelte immer noch, und donnerte ihr seinen Gips seitlich gegen den Kopf. Schmerz durchfuhr ihre Knochen, Sterne bildeten sich vor ihren Augen, Blut rauschte durch ihre Ohren. Sie taumelte zur Seite, sie schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können, der metallische Geschmack vom Blut erfüllte ihren Mund, und sie kreischte: » Lauf, Annie, la… «
    Der zweite Schlag traf sie am Hinterkopf. Sie hörte den Gips brechen, hörte Annie schreien. Das Meer rauschte in ihrem Schädel. Schon als sie vornüberfiel und ihre Arme vorschossen, um sich abzustützen, wurde ihr schwarz vor Augen. Der Mann warf sich auf sie, und sie knallte auf den Strand.
    Sand drang in ihre Nasenlöcher, in ihren Mund. Sie spuckte und rollte sich auf den Rücken, zog die Beine an, trat ihn mit ihren nackten Füßen in den Bauch. Er taumelte, stürzte aber nicht. Als sie sich wieder aufrichtete, rutschten der Strand, das Licht, das Wasser, einfach alles, nach rechts. Sie stürzte sich auf ihn, aber sie war so ungeschickt, so schwach, dass er einfach nach links auswich und sie vornüberkippte wie eine Betrunkene; ihr Blickfeld verschwamm im Dunkel.
    Dann schlug er sie erneut. Und noch im Fallen wusste sie, dass sie das Bewusstsein verlieren würde, bevor sie auf den Boden auftraf.

Zwei
    In dem Moment, in dem ihre Mutter rief, dass sie davonlaufen sollte, hastete Annie auch schon den Strand entlang; der Sand stob auf und stach in ihre Hacken, die Arme hatte sie eng an ihren Körper gepresst. Sie schaute nur einmal zurück und sah, wie ihre Mutter schließlich stürzte, wie sie im Sand landete und nicht wieder aufstand.
    Dann kam der Mann hinter ihr her, seine langen Beine fraßen den Abstand zwischen ihnen.
    Annie bog scharf in Richtung der Bäume ab, ein paar hohe Pinien und ein Mangrovensumpf. Ihr Entsetzen, so klar und gewaltig, erfüllte sie wie Helium, und sie rannte um ihr Leben, Atem und Schluchzen schossen gleichzeitig aus ihrem Mund.
    Es war jetzt beinahe dunkel. Wenn sie es zwischen die Bäume schaffte, würde er sie nie finden. Sie würde verschwinden. Sie würde notfalls zurück nach Tango schwimmen. Ohne meine Mom?
    Nie.
    Oh Gott, oh Gott … schneller.
    Sie zwinkerte Schweiß aus ihren Augen. Ihre Beinmuskeln fühlten sich angespannt wie Klaviersaiten. Sie fürchtete, das Tempo nicht mehr lange halten zu können.
    Die dunklen
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