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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne.
Autoren: Lion Feuchtwanger
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nächsten. »Er ist der größte Dichter der Nation«, sagte mit Schwung Senator Varus. »Aber langweilig«, meinte Domitian und schaute den Senator nachdenklich an, bedauernd, treuherzig, »sehr langweilig, stinklangweilig. Mein ›Lob der Glatzköpfe‹ ist wenigstens amüsant. Was ziehen Sie vor, mein Rutil?« pickte er sich von neuem diesen Günstling des Titus heraus. Rutil suchte mit hilflosen Vogelaugen seinem starren Blick auszuweichen. »Los, los, mein Rutil«, drängte der Kaiser. »Los, los, mein Rutil«, drängte der Zwerg. »Ich ziehe den Silius Italicus vor«, entschied sich schließlich mit verzerrt schalkhaftem Lächeln Rutil. »So sind unsere Senatoren«, sagte Domitian und schnalzte mit der Zunge. »Selbst etwas so Langweiliges wie den Silius Italicus ziehen sie meinen Späßen vor.« Er wandte sich um, er glaubte zu Lucia gesprochen zu haben. Aber nur der Zwerg stand hinter ihm, Lucia war gegangen.
      »Es wird Tag«, sagte der Kaiser zu den bedrückten Senatoren, »und Sie müssen sich daranmachen, dem Senat und Volk von Rom einen neuen Führer zu finden. Ein schwerer Tag für Sie. Ein schwerer Tag auch für mich, der ich mich wohl werde entscheiden müssen, wessen Privilegien ich bestätigen soll, wessen nicht. Mögen die Götter Ihr und mein Urteil erleuchten, Berufene Väter«, entließ er die Herren.

    Unmittelbar vor dem Morgen traf Josef ein. Domitian hatte von Lucia erfahren, daß dieser Mann der letzte gewesen war, mit dem sein Bruder gesprochen hatte. Wahrscheinlich war der Jude der einzige, der wußte, ob und wie tief sein guter Spaß mit Julia, dieser Ausgleich seiner alten Rechnung, den Toten getroffen hatte.
      »Sie wohnen doch noch im sechsten Bezirk«, begann der Kaiser das Gespräch, »in der Straße zum Granatapfel?« – »Ich schätze mich glücklich«, erwiderte Josef, »daß die Gnade des Kaisers Titus mir das Haus belassen hat, das der Gott Vespasian mir angewiesen.« – »Es ist Ihnen bekannt, daß ich in diesem Hause geboren bin?« fragte Domitian. »Gewiß, Majestät«, erwiderte Josef. »Arbeiten Sie gern in diesem Haus?« erkundigte sich Domitian weiter. »Und wird Ihre Arbeit dort gut?« – »Das Haus ist mir sehr lieb«, erwiderte Josef, »und ich arbeite gern dort. Ob die Arbeit gut wird, darüber zu urteilen steht nicht bei mir.« – »Es tut mir leid«, erwiderte Domitian und kam mit seinem steifen, merkwürdig leisen Schritt sehr nah an Josef heran, »daß ich Sie werde ausquartieren müssen. Ich will das Haus, in dem mein Vater, der Gott Vespasian, so lange gewohnt hat und von dem soviel Glück für das Reich ausging, den Göttern weihen und es zu einer nationalen Gedächtnisstätte machen.«
      Josef erwiderte nichts. Er wußte, welchen Einfluß Marull auf Domitian hatte, aber auch, welchen Einfluß Annius Bassus, er wußte, wie launisch Domitian und daß er selber gefährdet war. Aber er war ohne Angst, er fühlte sich seltsam sicher. Eitelkeit, Triumph, Niederlagen, Schmerz, Genuß, Wut, Trauer, Dorion, Paulus, Justus, das alles lag hinter ihm, und vor ihm lag nichts als sein Werk. Alles, was bisher in seinem Leben gewesen war, hatte sich als gut für das Werk erwiesen und bekam Sinn, sowie er es auf das Werk bezog. Jahve wird, des war er gewiß, seine Hand über ihn halten, daß ihm nichts zustoße, was das Werk gefährden könnte.
      Mit ruhiger Neugier also wartete er darauf, was Domitian von ihm wolle. »Sie hatten das Glück«, sagte der jetzt, »dem Tod und der Verklärung meines Bruders, des Kaisers Titus, beizuwohnen. Was wollte mein Bruder zuletzt noch von Ihnen?« Die Frage sollte ruhig klingen, aber Domitian konnte sich nicht bezähmen, sein Gesicht rötete sich, die Stimme kippte ihm über. »Kaiser Titus«, berichtete Josef, »wünschte, mir einen Auftrag zu erteilen.« Domitian schaute ihm fast mit Angst auf den Mund. »Er forderte mich auf«, erzählte Josef, »für die Späteren aufzuschreiben, daß er eine einzige Tat seines Lebens bereue.« – »Welche?« fragte Domitian. Aha, dachte er, die Sache mit Julia hat ihn also doch getroffen. Er hat ihm gesagt, er bereue es, mich nicht aus der Welt geschafft zu haben. Und den Mund geöffnet, wartete er auf Josefs Antwort. Aber »Er kam nicht mehr dazu, es mir zu sagen«, war alles, was Josef noch zu berichten hatte.
      Domitian atmete hoch. Doch schon den Augenblick darauf war er enttäuscht. Niemals also wird er erfahren, welche Wirkung die Sache mit Julia getan hat. Natürlich,
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