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Die Rückkehr des Sherlock Holmes

Die Rückkehr des Sherlock Holmes

Titel: Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Autoren: Arthur Conan Doyle
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waren, durch den Eintritt der liebreizendsten Frau ganz Londons noch weitere Ehren zuteil. Ich hatte schon oft von der Schönheit der jüngsten Tochter des Herzogs von Belminster gehört, doch keine Beschreibung und keine Betrachtung farbloser Photographien hatte mich auf den subtilen, zarten Charme und das wunderbare Kolorit dieses vollkommenen Kopfes vorbereitet. Und doch war es an jenem Herbstmorgen nicht ihre Schönheit, die den Beobachter als erstes beeindruckte. Die Wangen waren lieblich, aber bleich vor Erregung; die Augen leuchteten, aber es war das Leuchten des Fiebers; der feinnervige Mund war im Ringen um Fassung verkniffen und herabgezogen. Entsetzen – nicht Schönheit – sprang uns als erstes ins Auge, als unsere reizende Besucherin einen Moment lang in der offenen Tür stehenblieb.
    »Ist mein Mann hier gewesen, Mr. Holmes?«
    »Ja, Madam, er war hier.«
    »Mr. Holmes, ich flehe Sie an, sagen Sie ihm nicht, daß ich gekommen bin.« Holmes verneigte sich kühl und winkte die Lady in einen Sessel.
    »Euer Ladyship bringen mich in eine recht delikate Lage. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und mir zu sagen, was Sie wünschen; aber ich furchte, ich kann Ihnen kein vorbehaltloses Versprechen geben.«
    Sie rauschte durchs Zimmer und setzte sich mit dem Rücken zum Fenster. Eine königliche Erscheinung – groß, anmutig und überaus weiblich.
    »Mr. Holmes«, sagte sie – und während sie nun sprach, fingerten ihre weiß behandschuhten Hände nervös herum – »ich hoffe, Sie durch meine Offenheit dazu bewegen zu können, mir gegenüber ebenfalls offen zu sein. Zwischen meinem Mann und mir besteht vollkommenes Vertrauen in allen Angelegenheiten, bis auf eine: die Politik. Hier sind seine Lippen versiegelt. Er erzählt mir nichts. Nun ist mir bekannt, daß vorige Nacht in unserem Haus etwas sehr Bedauerliches geschehen ist. Ich weiß, daß ein Papier verschwunden ist. Da es sich aber um eine politische Angelegenheit handelt, weigert sich mein Mann, mich ganz in sein Vertrauen zu ziehen. Es ist aber wesentlich – ich sage: wesentlich –, daß ich die Sache von Grund auf verstehe. Sie sind neben diesen Politikern der einzige, der die wahren Tatsachen weiß. Ich bitte Sie daher, Mr. Holmes, sagen Sie mir genau, was geschehen ist und wozu es fuhren wird. Sagen Sie mir alles, Mr. Holmes. Lassen Sie sich von keiner Rücksicht auf die Interessen Ihres Klienten am Sprechen hindern, denn ich versichere Ihnen, daß seinen Interessen, wenn er es nur einsähe, am besten dadurch gedient wäre, wenn man mich voll und ganz ins Vertrauen zöge. Was war das für ein Papier, das da gestohlen wurde?«
    »Madam, Sie verlangen wirklich Unmögliches von mir.«
    Sie stöhnte und stützte den Kopf auf die Hände.
    »Sie müssen das doch einsehen, Madam. Wenn Ihr Mann es für richtig hält, Sie wegen dieser Sache im dunkeln zu lassen, darf dann ich, der ich die wahren Tatsachen nur unter dem Siegel meiner beruflichen Verschwiegenheit erfahren habe, Ihnen erzählen, was er Ihnen vorenthalten hat? Es ist nicht fair, dies von mir zu verlangen. An ihn müssen Sie sich wenden.«
    »Das habe ich getan. Sie sind meine letzte Rettung. Doch auch ohne mir irgend etwas Bestimmtes zu sagen, Mr. Holmes, können Sie mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie mich über einen einzigen Punkt aufklären.«
    »Und der wäre, Madam?«
    »Kann die politische Karriere meines Mannes durch diesen Vorfall Schaden nehmen?«
    »Nun, Madam, falls die Sache nicht in Ordnung kommt, könnte sie in der Tat eine sehr unglückliche Wirkung haben.«
    »Ah!« Sie holte heftig Luft wie jemand, dessen Zweifel zerstreut wurden.
    »Nur noch eine Frage, Mr. Holmes. Einer Äußerung, die mein Mann im ersten Schreck über diese Katastrophe fallenließ, entnehme ich, daß sich aus dem Verlust dieses Dokuments entsetzliche Konsequenzen für unser Land ergeben könnten.«
    »Wenn er das gesagt hat, kann ich es wohl nicht abstreiten.«
    »Konsequenzen welcher Art?«
    »Nicht doch, Madam, auch dies ist wieder mehr gefragt, als ich beantworten kann.«
    »Dann will ich Ihre Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen keinen Vorwurf machen, Mr. Holmes, daß Sie nicht offener zu mir waren, und Sie werden Ihrerseits nicht schlechter von mir denken, nur weil ich, auch gegen seinen Willen, die Sorgen meines Mannes zu teilen wünsche. Ich bitte Sie noch einmal, ihm nichts von meinem Besuch zu sagen.« Von der Tür aus warf sie uns noch einen Blick zu, und ich hatte einen
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