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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Autoren: Karl May
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Na, will ‘mal sehen! Er kann sich von meiner Alten die Löcher zuflicken lassen, dann geht’s in der Woche und über der Arbeit. Und für den Sonntag da kann er meine alten, gelben Langgänghosen anziehen, die roth-und blaugekästelte Sammetweste und den langen, braunen Schooßrock mit Puffen und Batten, den der selige Schwiegervater sich bei seiner Hochzeit hat machen lassen. Die Sachen werden ihm so ziemlich passen, und ein gutes Wort will ich ihm auch geben und guten Lohn dazu, daß er dableibt und zu Etwas kommt. Er hat so etwas an sich, daß man ihm sofort gut sein muß, und wenn man ihm so recht genau in die Augen guckt, so hält man es gar nicht für möglich, daß er leicht und lüderlich sein kann. Ich glaube, ich werde mir nicht gleich über ihn gescheidt werden, zumal er gar nicht redet und Einen mit seinen großen Augen so vornehm anblitzt, so daß man immer vergißt, was man hat sagen wollen. Ich habe mir ja fast gar nicht getraut, ihn zu fragen, wie er heißt und woher er ist. Aber ein tüchtiger Kerl ist er, und ich habe mein Lebtage noch keinen solchen Gesellen gehabt. Aber das Hemde, das schmutzige – und die Löcher in den Stiefeln – in den Hosen – und in dem Rocke, – die Löcher, – die, – die machen mir Bedenken!«
3.
Stillleben
    Es war dunkel in der Stube, dunkel und still, und nur der einförmige Pendelschlag der Wanduhr ließ sich hören. Heut ruhte die Arbeit, denn es war Sonntag, und die sparsame Mutter hatte noch nicht nach der Lampe gegriffen. Draußen ging die Abendluft leise rauschend durch die Baumkronen und die Sterne warfen ihren ersten milden Strahl durch die geöffneten Fenster. Da klangen aus dem kleinen Gärtchen einzelne abgerissene Saitentöne herauf und mischten sich in das kosende Flüstern der Zweige.
    Es war Dämmerstunde, jene liebe Zeit, in welcher wir den Schlag unseres Herzens vernehmlicher hören und darum so gern die Einsamkeit, die Stille und das Dunkel suchen. In dieser Stunde saß der neue Geselle täglich nach dem Feierabende unten auf der Bank, und in den Nachbargärten standen die Leute hinter den Zäunen, um seiner schönen, volltönenden Stimme zu lauschen. Aber nicht mehr als nur ein Lied sang er, dann ging er zurück in’s Haus und war für den Abend nicht mehr zu sehen. Und wenn dann Auguste hinabging, so lag auf der Bank immer eine Rose, von zartblühendem Augentrost eingefaßt.
    Die einzelnen Töne vereinten sich nach und nach zu Accorden, und nicht zagend und erst versuchend, sondern gleich laut und voll erklang das Lied:
     
    »In Deiner Liebe ruht mein Leiden,
    Ruht all das Weh vergang’ner Zeit – –«
     
    Es war, als müsse der Hauch des Windes dieser kräftigen, männlichen Stimme Ehrerbietung zollen; die flüsternden Blätter schwiegen und hingen bewegungslos hernieder, und selbst der Falter unterbrach seinen Flug und setzte sich mit ausgebreiteten, wiegenden Flügeln an den Fensterrahmen.
     
    »In Deiner Liebe ruht mein Hoffen,
    In Deiner Liebe ruht mein Herz – –«
     
    begann der zweite Vers. Die Mutter bog sich hinaus, um sich dem süßen Genusse ganz hingeben zu können; das Mädchen aber legte das Köpfchen zurück und drückte die Hand gegen die Brust, als wolle sie eine aufsteigende Regung bekämpfen. Da klang der dritte Vers:
     
    »In Deiner Liebe ruht mein Leben,
    Ruht meine ganze Seligkeit.
    O laß nach Deinem Glück mich streben
    Und sei mein Eigen allezeit – –«
     
    Es war weder ein bekanntes Lied, noch eine bekannte Melodie; der Sänger improvisirte frei, und grad deshalb waren Wort und Ton so eindringlich und ergreifend.
    »Gustel, ich höre, Du weinst wieder, und das darf doch Deiner kranken Augen wegen nicht sein.«
    Da schlangen sich zwei Arme um ihren Nacken, und die Stimme des Kindes flüsterte:
    »Mutter, mir ist so weh, so sehr wehe!«
    »Sag mir, warum?«
    »Ach nein, dann würdest auch Du weinen, und das würde mich nur noch trauriger machen.«
    »Ich werde nicht weinen, Gustel. Ich bin ja im Unglück stark geworden und werde Deinen Kummer durch meine Klagen nicht verdoppeln.«
    »Aber Du wirst das Leid doch fühlen, und je mehr Du es verbirgst, desto größer wächst es an.«
    »Willst Du ein Geheimniß vor mir haben, Kind?«
    »O nein, nein, aber das Geständniß wird mir so schwer.«
    »Komm, lege Deinen Kopf recht innig und fest hierher und denke daran, daß ich als Mutter ein heiliges Anrecht auf die Gedanken Deines Herzens habe.«
    Sie umschlang die Mutter fest und fester, und langsam, langsam
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