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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens
Autoren: Ildefonso Falcones
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Nur die Armen waren von der milden Gabe ausgenommen. Wenn hingegen die reichsten Gemeindemitglieder an drei Sonntagen hintereinander nichts abgaben, wurden sie bestraft. Andrés notierte sorgfältig, wer etwas und was jemand gab.
    Als die »Todesglocke« erklang, wie die Morisken das helle Glöckchen nannten, das bei der Wandlung geläutet wurde, knieten sie missmutig zwischen den frommen Altchristen nieder. Das Glöckchen klingelte in dem Moment, in dem der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde die Hostie hochhielt. Es ertönte wieder, als er den Kelch anhob. Don Martín wollte gerade die Einsetzungsworte sprechen, als er sich wegen der allgemeinen Unruhe in der Kirche plötzlich wutentbrannt umdrehte.
    »Hunde!«, schrie er. »Haltet den Mund, ihr Häretiker! Kniet euch so hin, wie es sich gehört, um Christus, den einzig wahren Gott, zu empfangen! Du da!« Er deutete mit dem dünnen Zeigefinger auf einen alten Mann in der dritten Reihe. »Du wirst hier nicht deinem falschen Gott huldigen. Und ihr sollt euren Blick heben, wenn ihr das heilige Sakrament empfangt!«
    Sein vernichtender Blick bohrte sich in zwei Morisken, ehe er mit dem Gottesdienst fortfuhr. Dann gingen die Männer und Frauen schweigend zu ihm. Die Altchristen empfingen den Segen mit Ehrfurcht, die meisten Neuchristen scherzten hingegen heimlich über diesen heiligen »Kuchen« und bekreuzigten sich verkehrt herum. Nach dem Friedenssegen verließ die Gemeinde die Kirche. Die Morisken eilten nach Haus, um den »Kuchen« wieder auszuspeien.
    Die wenigen Altchristen des Dorfes standen noch immer vor der Kirchentür, um miteinander zu schwatzen. Sie achteten nicht darauf, dass ihre Kinder die alte Frau beschimpften, die inzwischen völlig entkräftet von der Leiter gefallen war und nun reglos und schwer atmend am Boden lag. In der Kirche warfen der Priester und seine beiden Gefährten dem Büßer unaufhörlich sein Vergehen vor, während sie die litur gischen Gegenstände vom Altar einsammelten und in die Sakristei brachten.

2
    Die Morisken haben die Revolte begonnen, das ist wahr, doch es sind die Altchristen mit ihrer Arroganz, ihren Plünderungen und ihrer Rohheit, mit der sie die Frauen nehmen, die sie zur Verzweiflung treiben. Selbst die Geistlichen verhalten sich schändlich. Eine ganze Moriskengemeinde beschwerte sich unlängst beim Erzbischof über ihren Pfarrer. Er solle versetzt werden, bat die Gemeinde … Oder man solle ihn zumindest verheiraten, denn »alle unsere Kinder kommen mit seinen blauen Augen zur Welt«.
    Francés de Álava , Spaniens Gesandter
in Frankreich an Philipp II., 1568
    J uviles war das größte von etwa zwei Dutzend Dörfern, die über die südlichen Ausläufer der Sierra Nevada verstreut lagen. Nur ein Viertel des felsigen Gebietes wurde bewässert und mit Weizen und Gerste bebaut. Der größere Teil war mit Weinstöcken, Olivenhainen, Feigen-, Esskastanien-, Walnuss- und vor allem unzähligen Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht bepflanzt. Auch wenn die Seide aus Juviles nicht ganz so geschätzt wurde wie die aus anderen Gegenden der Alpujarras, war sie doch die wichtigste Einnahmequelle der Region.
    Die Morisken bewirtschafteten auch noch das steilste Stück Land bis zu den hohen Gipfeln. Jeder fruchtbare Winkel wurde durch eines der unzähligen Terrassenfelder nutzbar gemacht.
    Eines Tages, als die Sonne schon im Zenit stand, kehrte Hernando Ruiz von einem dieser Felder nach Juviles zurück. Der Junge war etwas über vierzehn Jahre alt, schlank und sehr flink. Er hatte dunkelbraunes Haar, und unter seinen buschigen Augenbrauen leuchteten große, auffallend blaue Augen.
    Es war kalt, aber die Mittagssonne milderte die eisige Winterluft aus der Sierra Nevada. Hernando hatte gerade die letzten Früchte eines alten, knorrigen Olivenbaums geerntet, die beim Schütteln nicht he rabgefallen waren. Er war zwischen den krumm gewachsenen Ästen hinaufgeklettert und hatte die noch unreifen Oliven von Hand gepflückt. Am liebsten wäre er dort geblieben, hätte Unkraut gejätet und wäre anschließend zu einem anderen Terrassenfeld gegangen, wo der alte Hamid vermutlich gerade seinen bescheidenen Landbesitz bear beitete. Nur wenn die beiden allein waren, auf dem Feld arbeiteten oder in den Bergen Heilkräuter suchten, nannte Hernando ihn »Hamid« und nicht »Francisco« – denn das war sein christlicher Name, auf den er getauft worden war. Fast alle Morisken hatten zwei Namen: einen christlichen und einen muslimischen.
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