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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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das Kind übrig. Annie war ein kleines
Mädchen, das von großen Ängsten geplagt wurde und sehr einsam war. Sie hatte es
nicht leicht. Nachdem Alain Mozère sie mißbraucht hatte, zog sie zu ihrem
Vater. Dann wollte sie unabhängiger sein und mietete sich eine eigene Wohnung.
Annie ist ein schüchternes, zurückhaltendes junges Mädchen, depressiv und
sensibel, kann sich aber klar und verständlich ausdrücken.
    Ihr Gefühlsleben ist zerstört. Annie
behält ihre Gefühle für sich. Sie hegt großen Groll gegen ihre Mutter, weil sie
der Meinung ist, daß diese wußte, was vorging, sich aber blind und taub
gestellt hat. Annie macht sich Sorgen um ihren kleinen Bruder, auf eine sehr
reife Art und ohne sich mit ihrer Mutter zu identifizieren. Sie ist ihrem Vater
sehr dankbar, wenngleich sie sich eine entschlossenere Haltung seinerseits
gewünscht hätte.
    Als sie Anzeige erstattete, befand sie
sich in einer stark depressiven Phase. Ihr Freund hatte sie ermutigt. Die
Therapie scheint ihr die Kraft gegeben zu haben, um zu kämpfen, aber sie leidet
sehr unter einem Gefühl der Befleckung, unter einem gestörten Selbstempfinden.
Sie ist sehr selbstkritisch und mag ihren Körper nicht, vor allem ihre Brüste.
Sie kann sich nicht ohne Angst ausziehen und hat große Schwierigkeiten mit
ihrer Sexualität. Sie hat das Gefühl, ihr Frausein niemals ganz ausleben zu
können, sich nie frei entfalten zu können. Sie erzählt keine Märchen, weist
keinen psychischen Defekt auf. Um Gerechtigkeit zu erlangen, versucht sie,
einen Abwehrmechanismus für sich zu entwickeln.«
    Dann folgen die Plädoyers.
    Maître Crifo, Annies Anwältin, ruft den
Geschworenen ins Gedächtnis, daß sie über eine inzestuöse Vergewaltigung zu
urteilen haben, die von einem Erwachsenen begangen wurde, der Autorität über
das Kind hatte, auch wenn die Mutter ihm verboten hatte, väterliche Autorität
auszuüben.
    »Für Alain Mozère war Annie ein
Lustobjekt. Er hat sich ihr angenähert, weil er in Abwesenheit seiner Frau sein
Verlangen stillen wollte. Dieser schwache Mann hat in seiner Stieftochter ein
noch schwächeres Wesen gefunden, ein unschuldiges, unberührtes Kind, das er
dazu benutzt hat, seine Triebe zu befriedigen. Er behauptet, die Jugendliche
geliebt zu haben. Macht man einer Frau den Hof, indem man sich ihr aufdrängt
und vor ihr masturbiert? Wenn ein Kind Opfer solcher Verhaltensweisen wird,
fällt es ihm äußerst schwer, mit dieser Situation fertigzuwerden und ihre
Abnormität zu erkennen. Annie liebte diesen Mann, wie eine Tochter einen Vater
liebt. Sie glaubte, ihm gehorchen zu müssen. Alain Mozère machte sich diesen
Gehorsam zunutze. Er machte sie glauben, daß ›Sexunterricht‹ zu seinen
erzieherischen Pflichten‹ gehörte. Annies Mutter hat nie mit ihr über solche
Dinge gesprochen. Für das Kind war das Ganze sehr verworren. Mozère hat diese
Verwirrung benutzt, hat seine Autorität mißbraucht. Sein Handeln ist
verwerflich.
    Erst im Laufe ihrer Entwicklung, im
Rahmen von Gesprächen, wurde Annie die Situation richtig bewußt. Wir alle
wissen, daß unsere Jugend unser Leben entscheidend beeinflußt. Wird die Jugend
von einer Vergewaltigung überschattet, ist das Trauma unauslöschlich.
    Annie hat ein zweites Trauma erfahren,
als ihre Mutter sich in infolge der Anzeige von ihr abwandte. Man wirft Annie
vor, Objekt der Begierde gewesen zu sein! Man beschuldigt sie der Verführung,
sie, die mit 15 Jahren von der ersten Liebe träumte! Sie hat lange geschwiegen,
bemüht, das gute Gewissen der Eingeweihten nicht zu stören. Sie ist fürs Leben
gezeichnet, weil sie gelitten hat und nun Gerechtigkeit verlangt.«
    Der Staatsanwalt hebt ebenfalls »die
Leiden des Opfers« hervor.
    »Es ist die Pflicht des Gesetzes, die
Moral im öffentlichen Leben zu wahren, die Rechte der Minderjährigen zu
schützen und über ihre körperliche und seelische Integrität zu wachen«,
erinnert er. »Mozère hat sich, aus Liebe, wie er behauptet, drei Jahre lang
seinem Opfer aufgezwungen. Er hat selbst zugegeben, sie ›hereingelegt‹ zu
haben. Die beiden psychiatrischen Gutachten beweisen, daß er in einem gesunden
sozialen und familiären Umfeld aufgewachsen ist. Beruflich war er passiv und
ohne großen Ehrgeiz. In der Anfangszeit war das Zusammenleben mit seiner neuen
Familie zufriedenstellend. Nichts deutete auf die Handlungen hin, über die wir
heute zu befinden haben.
    Mozères Auffassungsgabe ist als normal
einzustufen. Er weist keinerlei
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