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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Paul Auster
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seine ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen, so als müsste er zu Unbeweglichkeit erstarren, wenn er nicht an das dachte, was er tat. Quinn hatte noch niemanden gesehen, der sich so bewegte, und er erkannte sofort, dass dies die Person war, mit der er am Telefon gesprochen hatte. Der Körper agierte wie die Stimme: maschinenmäßig, ruckartig, mit bald langsamen, bald schnellen Bewegungen, steif und doch ausdrucksvoll, als wäre der Arbeitsvorgang außer Kontrolle geraten und entspräche nicht ganz dem Willen, der dahinterstand. Quinn hatte den Eindruck, dass Stillmans Körper lange nicht benutzt und dass jede Funktion neu erlernt worden war, sodass die Fortbewegung zu einem bewussten Prozess geworden und jede Bewegung in die Teilbewegungen zerlegt war, aus denen sie sich zusammensetzte, sodass das Fließen und jegliche Spontaneität verlorengegangen waren. Es war, als sähe man einer Marionette zu, die ohne Fäden zu gehen versuchte.
    Alles an Peter Stillman war weiß. Weißes Hemd, am Hals offen, weiße Hose, weiße Schuhe, weiße Socken. Gegen die Blässe der Haut das dünne strohblonde Haar; er wirkte beinahe transparent, so als könnte man bis zu den blauen Adern unter der Haut seines Gesichtes hindurchblicken. Dieses Blau war beinahe das gleiche wie das Blau seiner Augen: ein milchiges Blau, das sich in eine Mischung von Himmel und Wolken aufzulösen schien. Quinn konnte sich nicht vorstellen, wie er ein Wort an diesen Menschen richten sollte. Stillmans Gegenwart war wie ein Gebot zu schweigen.
    Stillman ließ sich langsam in seinem Sessel nieder und wandte schließlich seine Aufmerksamkeit Quinn zu. Als ihre Blicke einander begegneten, hatte Quinn mit einem Mal das Gefühl, dass Stillman unsichtbar geworden war. Er konnte ihn sitzen sehen, in dem Sessel ihm gegenüber, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, er sei nicht da. Quinn kam der Gedanke, dass Stillman vielleicht blind war, aber nein, das konnte nicht gut möglich sein. Der Mann sah ihn an, er musterte ihn sogar, und wenn auch kein Erkennen über sein Gesicht huschte, so hatte es doch mehr an sich als nur ein ausdrucksloses Starren. Quinn wusste nicht, was er tun sollte. Er saß stumm in seinem Sessel und erwiderte Stillmans Blick. Eine lange Zeit verging so.
    «Keine Fragen, bitte», sagte der junge Mann endlich. «Ja. Nein. Danke.» Er unterbrach sich einen Augenblick. «Ich bin Peter Stillman. Ich sage das aus meinem eigenen freien Willen. Ja. Das ist nicht mein richtiger Name. Nein. Natürlich ist mein Verstand nicht ganz, was er sein sollte. Aber dagegen lässt sich nichts machen. Nein. Dagegen. Nein, nein. Nicht mehr.
    Sie sitzen da und denken: Wer ist diese Person, die mit mir spricht? Was kommen da für Worte aus seinem Mund? Ich will es Ihnen sagen. Oder ich will es Ihnen nicht sagen. Ja und nein. Mein Verstand ist nicht ganz, was er sein sollte. Ich sage das aus meinem eigenen freien Willen. Aber ich will es versuchen. Ja und nein. Ich will versuchen, es Ihnen zu sagen, selbst wenn es mir mein Verstand schwer macht. Danke.
    Mein Name ist Peter Stillman. Vielleicht haben Sie von mir gehört. Doch wohl eher nicht. Macht nichts. Das ist nicht mein richtiger Name. An meinen richtigen Namen kann ich mich nicht erinnern. Verzeihen Sie. Nicht dass es etwas ausmacht. Das heißt, nicht mehr.
    Das also nennt man Sprechen. Ich glaube, das ist der richtige Ausdruck. Wenn Wörter herauskommen, in die Luft fliegen, einen Augenblick leben und sterben. Seltsam, nicht wahr? Ich selbst habe da keine Meinung. Nein und noch einmal nein. Aber immerhin, es gibt Wörter, die Sie brauchen werden. Es gibt viele davon. Viele Millionen, denke ich. Vielleicht nur drei oder vier. Verzeihen Sie. Aber ich bin heute so gut in Form. Viel besser als sonst. Ich kann Ihnen die Wörter geben, die Sie haben müssen, das wird ein großer Sieg sein. Danke. Ich danke Ihnen eine Million Mal.
    Vor langer Zeit gab es Mutter und Vater. Ich erinnere mich an nichts davon. Sie sagen: Mutter ist gestorben. Wer sie sind, kann ich nicht sagen. Verzeihen Sie. Aber das sagen sie.
    Keine Mutter also. Haha. So ist jetzt mein Gelächter, mein Hokuspokus, dass mir der Bauch platzt. Hahaha. Der große Vater sagte: Das ist ganz egal. Für mich. Das heißt, für ihn. Der große Vater mit den großen Muskeln und dem Klatsch, Klatsch, Klatsch. Keine Fragen jetzt, bitte.
    Ich sage, was sie sagen, weil ich nichts weiß. Ich bin nur der arme Peter Stillman, der Junge, der sich nicht erinnern kann. Huhu. Wohl
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