Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition)
Autoren: Regine Sondermann
Vom Netzwerk:
Asja die Haare
schneiden lassen und ebenfalls eine Dauerwelle
erhalten. "Die Anna sagt, ich soll nicht so
herumlaufen. Ich soll lieber 'deutsch' aussehen." Das
Sprechen fiel ihr schwer, weil sie sich die Goldzähne
hatte entfernen lassen. Auch sie sollten durch
"deutsche" Porzellanprothesen ersetzt werden.
    Ohne zu fragen, ob ich Hunger hätte, stellte sie mir
einen Teller dampfender Pelmeni hin. Als Anna kam,
hatte ich bereits eine weitere Portion verschlungen.
Die Dauerwelle hatte zwanzig Mark gekostet und sah
schrecklich aus, denn die Locken mussten erst
ausgekämmt werden. Ich beneidete Anna um den
Eifer, mit dem sie ihre Frisur herrichtete. Ich beneidete
sie plötzlich um alles. Um den Bauch, den Mann, die
Mutter und das Kind. Das alles sollte mir gehören. Ich
wollte allein sein.
"Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen." Ich stand
auf. Anna hatte die Haare jetzt ausgekämmt und mit
viel Haarspray in Form gebracht. Ich bewunderte ihre
Frisur wie ein Kunstwerk.
"Ich bin schon fertig."
"Ich muss los."
Sie sah mich traurig an. "Nie bleibst du hier, wenn du
kommst."
Es gelang mir, so auszusehen, als hätte ich wirklich
etwas vor. Schließlich war sie bereit, mich fortzulassen.
Als sie mir die Hand zum Abschied reichte,
zerquetschte sie mir beinahe die Finger. "Holt Hilfe",
ächzte sie. Der Schädel des Kindes war bereits tief
unten im Becken, so dass Knochen auf Knochen rieb.
Den ganzen Weg ins Krankenhaus hielt ich Annas
Hand und sprach ihr den Mut zu, den ich selber nicht
hatte. "Du schaffst es", flüsterte ich ihr ins Ohr. Wie
viele Kilometer weit weg kann eine Wehe sein? "Ich
sehe die nächste Wehe schon am Horizont", sagte die
Hebamme. Und "wehe", die Wehe kam. Sie schmiss
sich auf Annas Bauch und versuchte mit aller Kraft,
das Kind herauszudrücken. Es kam aber nicht, obwohl
bereits seine schleimig verschmierten Locken zu sehen
waren. Anna litt, und ich litt mit ihr mit.
Der Arzt wippte auf seinen Fußsohlen und wirkte wie
ein ungebetener Gast. Als das schmierige, zappelige
Paket endlich da war, drückte mir die Hebamme eine
Schere in die Hand. Ich sollte die Nabelschnur
durchschneiden, die wie eine zu dick geratene
Makkaroni aussah. Anna begrüßte ihr Baby mit einer
Freundlichkeit und Erstauntheit, die so groß und
ehrlich schien, dass ich mir überflüssig vorkam.
    Als Alexej endlich auftauchte, schlief Anna. Er küsste
sie wach und bestaunte seinen Sohn voller Ehrfurcht.
Ich fand den kleinen Sascha weder hässlich noch
schön, aber ich war froh, dass sie ihn sauber gemacht
hatten. Ich konnte keine Ähnlichkeit mit Alexej oder
Anna in seinem Gesicht sehen. Sie hatten ihn in eine
durchsichtige Plastikschale gelegt.
Anna strahlte uns an: "Geht jetzt austrinken auf
Sascha."
"Wir bleiben natürlich bei dir." Alexej rieb seine
Wange an Annas Gesicht. Ich erschrak, weil ich immer
noch da war. Ich stand leise auf und ging zur Tür.
"Du gehst jetzt", befahl Anna. "Beide geht ihr. Ich
muss jetzt schlafen." Sie schob Alexej vom Bett weg.
Er holte mich im Flur ein.
"Danke, dass du Anna geholfen hast."
"Das hat sie allein geschafft. Wo warst du?"
"Ich war zuerst im Institut."
"Und wo warst du dann?" Ich sah, dass er es mir nicht
sagen würde.
"Ich wäre gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass es
soweit ist."
Ich blieb auf der Straße stehen, während Alexej
einkaufen ging und atmete die staubigen Abgase. Ich
sah auf einen Kaugummifleck auf dem Trottoir. Alexej
kam zu mir mit einer Flasche Sekt und einer Tüte
Chips. "Hau ab", befahl ich mir. Auf der Baustelle
gegenüber ratterte ein Presslufthammer. Ich folgte
Alexej durch den späten Nachmittagsdunst. Die Leute
stiegen aus der Straßenbahn und gingen nach Hause,
als sei es ein Abend wie jeder andere.
    Alexej telefonierte. "Wir haben einen Sascha
bekommen. Er hat schwarze Haare. Die Augen sind
immer blau." Seine Mutter wollte alles wissen. "Nein,
ich war nicht dabei, Franka hat sie begleitet."
Alexej wurde langsam ungeduldig. "Ich war nicht zu
Hause. Ich konnte sie doch nicht ständig bewachen."
Ich holte die Sektgläser aus der Küche. Ich musste ein
paar Schranktüren öffnen, bis ich sie fand. Die Gläser
standen sauber und geordnet. Das Baby würde alles an
seinem richtigen Platz vorfinden. Neben dem Toaster
auf der sauber abgewischten Arbeitsplatte stand ein
Fläschchenwärmer. Ich beneidete Anna und Alexej um
ihr frisches Zuhause. Alexej hatte den Hörer aufgelegt
und öffnete den Aluminiumverschluss der Sektflasche
"Willst du niemanden sonst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher