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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy
Autoren: Alexander Borell
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meiner Nähe saß.
    »Du könntest mir ein bißchen helfen, Estelle.«
    »Ich? — Wie denn?«
    »Ich brauche Papiere von Pierre. Ich habe schon einmal mit ihm darüber gesprochen, und Gustave auch. Aber ich kann erst heute nacht bezahlen.«
    Sie runzelte die Stirn und schob die Unterlippe vor.
    »Ich hab’ keine Ahnung«, sagte sie vorsichtig, »ob er das machen kann. Er muß ja selber für die Papiere bezahlen, und ich weiß nicht, ob er es dir auslegen wird.«
    »Eben deshalb solltest du mit ihm reden.«
    »Ich will es versuchen.«
    Ein Gast in einer andern Ecke klopfte an sein Glas, und Estelle ging hinüber. Offiziell war Estelle die Pächterin dieses Lokals. In Wirklichkeit aber gehörte es Pierre, der es stets vorzog, nach außen hin nicht in Erscheinung zu treten. Was er vor dem Krieg getrieben hatte, wußte ich nicht. Während des Krieges aber war er kurze Zeit bei der Armee gewesen, dann hatte er, glaube ich, nur noch geschoben. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß er auch mit Alexandre zusammengearbeitet hatte, und mußte deshalb sehr vorsichtig sein. Aber Pierre kannte meinen wahren Namen genauso wenig wie Gustave. Niemand in Paris kannte ihn, und ich hatte meine Entlassungspapiere keinem Menschen gezeigt.
    Estelle war etwa dreißig Jahre alt, hübsch und elegant; im Grunde ihres Wesens aber war sie primitiv. Sie mochte mich, glaube ich, gern leiden, aber ich hatte immer das Gefühl, als traue sie mir nicht ganz.
    Ich hatte mich so gesetzt, daß ich die Eingangstür sehen konnte. Als ich mein drittes Glas zur Hälfte ausgetrunken hatte, kam Francois herein. Er entdeckte mich sofort und setzte sich zu mir.
    »Na«, sagte er und reichte mir seine schlappe Hand, »immer noch keinen vernünftigen Job?«
    »Doch«, erwiderte ich, »aber nicht hier in Paris.«
    »Hast du eine Zigarette für mich?« fragte er.
    Ich bot ihm an, und er rauchte hastig.
    »Mensch«, sagte er, »gestern haben sie Cécile geschnappt.«
    Ich hatte keine Ahnung, wer Cécile war, aber ich sagte: »Verdammt — das ist übel.«
    »Übel ist gar kein Ausdruck«, murrte er, »wenn Cécile pfeift, sind wir alle dran.«
    »Pierre auch?« fragte ich. Francois war mir widerlich, aber er war mit Pierre gut befreundet.
    »Ach Pierre«, meinte Francois und machte eine Handbewegung, »Pierre ist viel zu schlau. Der läßt uns für sich arbeiten, ihn selbst wird man nie erwischen.«
    Ich sah, wie die Tür aufging und Pierre hereinkam. Mit einem raschen Blick hatte er das Lokal überflogen, dann verschwand er hinter der Theke. Francois, der mir gegenübersaß, hatte ihn nicht bemerkt.
    »Einen Moment«, sagte ich und stand auf. Ich ging ebenfalls hinter die Theke, klopfte kurz an die Tür, die zu einem winzigen Nebenraum führte, und trat ein.
    »Guten Abend, Pierre«, sagte ich, »ich habe auf dich gewartet.«
    Er war sehr gut angezogen, tadellos rasiert, und seine langen schwarzen Haare glänzten gepflegt.
    »Und?« fragte er. »Was gibt’s?«
    »Ich brauche heute nacht die Papiere.«
    Er setzte sich und zog die Bügelfalten glatt. Dann schaute er mich an und wiegte den Kopf.
    »Heute nacht? Bis wieviel Uhr?«
    Ich überlegte.
    »Sagen wir etwa ab ein Uhr.«
    »Wäre zu machen«, nickte er, »zwanzigtausend sofort, den Rest, wenn du sie abholst.«
    »Ich habe noch kein Geld, Pierre. Aber bis ein Uhr bestimmt.«
    Er spuckte einen Tabakkrümel fort, der ihm an der Lippe hängengeblieben war.
    »Tut mir leid, aber da ist nichts drin. Ich muß selber meinen Leuten sofort zwanzigtausend geben, sonst fangen sie gar nicht an.«
    »Aber ich bekomme es ganz sicher! Gustave — «
    »Gustave ist ein alter Idiot«, schnitt er mir das Wort ab, »wir müssen schwer auf ihn aufpassen, daß er uns keine Dummheiten macht. — Was hast du eigentlich vor?«
    Ich fing an, ärgerlich zu werden.
    »Seit wann bist du neugierig?«
    »Das bin ich immer, wenn ich irgendwo mit drin bin. Und ich möchte nicht, daß unsere Papiere geschnappt werden.«
    »Es ist eine harmlose Sache«, sagte ich.
    »So! Na schön! Dann kannst du ja morgen früh das Geld bringen, und bis mittag hast du dann die Papiere.«
    »Gut«, sagte ich, »wenn’s nicht anders zu machen ist. — Bis morgen früh also.«
    Ich ging hinaus und sagte zu Estelle:
    »Er tut’s nicht. Ich bringe morgen früh das Geld zu dir.«
    »Ist recht. — Alles Gute inzwischen!«
    »Danke!«
    Etwas enttäuscht und verärgert verließ ich die Kneipe. Ich versuchte mir einzureden, es sei wirklich nicht schlimm,
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