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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
Autoren: Wolfgang Bödeker
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eingestehen, hatte er recht . Er schien wirklich tiefer in die Geheimnisse einer ganz anderen Welt eingedrungen zu sein, als es die Leute für möglich hielten, die die Erleuchtung auf ihre Fahne geschrieben hatten und die Bücher lasen, die er als Verleger herausgab.
    "Was ich an Büchern auf den Markt gebe", sagte er, "ist nur die Vorschule."
    Aber neben den Spinnern lernte sie in seinem Haus auch wirklich interessante und, wie sie sich eingestehen musste, auch etwas unheimliche Leute kennen, solche, die das Geheimnis zur Wissenschaft erhoben und sich mit heiligem Ernst der Erforschung des Unbekannten widmeten. Diese Leute trafen sich in unregelmäßigen Abständen zu abendlichen Gesprächen an Eckhardts Kamin, der die Ausmaße eines Höllentores hatte. Und einige Male durfte auch Elaine dabei sein.

 
    ***

 
    Eine der Teilnehmerinnen war die Apothekerin Ruth Leuberich , eine hagere Frau mit einer Haut wie aus Leder und einer seltsamen Vorliebe für ungewöhnliche Kopfbedeckungen. Sie kannte sich nicht nur mit verschreibungspflichtigen Medikamenten aus, sondern rührte für einen erlesenen Kreis die verschiedensten Substanzen im Hinterzimmer ihrer Apotheke an.
    Ein weiteres Mitglied der Runde war der bekannte Frauenarzt griechischer Herkunft, Dr. Amantesoudis . Der Grieche, wie sie ihn nannten, war ein großer, grobschlächtiger Mann mit dicken Lippen, buschigen Augenbrauen und einem Blick, der es für Elaine unmöglich machte sich vorzustellen, wie Frauen sich ihm in ihren intimsten Dingen anvertrauen konnten. Aber der Mann kannte sich hervorragend in der Geschichte der Heilkunst aus und experimentierte mit sanften Therapiemethoden ebenso wie mit burmesischen Pfeilgiften.
    Ihre Runde komplett machte ein Ehepaar in Eckhardts Alter, das erst kürzlich aus Norwegen eingereist war und dem der Ruf vorauseilte, dass sie von der Regierung mit Nachdruck darum gebeten worden waren, das Land zu verlassen. Die beiden schienen sehr verliebt, auf jeden Fall hingen sie ständig aneinander und konnten kaum die Hände voneinander lassen. Aber dass sie offensichtlich nicht die gleiche Vorstellung von Liebe hatten, wie Elaine sie verstand, bekam sie einmal mit als sie zufällig in einem Flur von Eckhardts Haus beobachtete, wie der Mann das Abendkleid der Frau hinten etwas heruntergezogen hielt um mit einem entrückten Lächeln eine frische Narbe zwischen den Schulterblättern der Frau zu betrachten. Als die beiden Elaine bemerkten, hatten sie nicht etwa erschrocken reagiert, wie Elaine erwartet hätte. Vielmehr hatte der Mann ganz ruhig erst Elaine, dann die wieder die Narbe angeschaut, wie um ihr zu verstehen zu geben, dass sie an ihrem Vergnügen hätte teilhaben können. Elaine war schnell verschwunden. Jeder sollte nach seiner Facon glücklich werden, aber mit dem, was sich ihr in der eben gesehenen Szene andeutete, wollte sie nichts zu tun haben.

 
    ***

 
    Jeden ersten Donnerstag im Monat saß die Gruppe, neuerdings erweitert um Elaine, mit Drinks in den Händen um den Kamin herum. Sie erzählten von neuen Ergebnissen ihrer exotischen Forschung oder machten sich über Auswüchse der Szene, wie Bachblüten- und Edelsteintherapie, lustig.
    Eckhardt war der unangefochtene Kopf der Runde. Was die verschiedenen Teilnehmer auch erzählen mochten, er wusste es sofort einzuordnen und in einen Zusammenhang zu stellen. Er war der Meister der jede bewußtseinserweiternde Droge probiert hatte, der alle bekannten und unbekannten Schriften gelesen hatte und wusste, wer in der Szene Scharlatan und wer Guru war.
    Elaine durfte zuhören, und wenn sie etwas zu sagen wusste, dann hörten die Anderen aufmerksam zu. Ihre während des Studiums gewonnenen Kenntnisse schienen sie dafür zu qualifizieren, an diesen Treffen teilzunehmen.
    Die Abende verliefen harmonisch und in einem intellektuellem Klima, das Elaine die Gewißheit gab, ernstgenommen zu werden. Themen, die an der Uni nur Gelächter und Verachtung ausgelöst hätten, wurden hier mit dem gebührenden Ernst behandelt. Sie hatte das Gefühl, dass hinter all dem wirklich etwas steckte, was ihrem Studium fehlte und was sie suchte: Realität.
    Nur einmal schlich sich ein böser Ton ein, als Ruth Leuberich auf die Anmerkung des Griechen, er habe sich von einem Freund aus Kasachstan eine bisher im Westen unbekannte Wurzel zur Herstellung einer von Schamanen benutzten Salbe zuschicken lassen, meinte:
    "Das wäre doch schön, wenn wir jetzt die fehlende Substanz hätten."
    Betroffene
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