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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Thomas
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drückte ihn gegen die Wand.
    »Ich habe ihr nichts getan«, sagte Giovanni beschwörend. Ein Blutfaden rann ihm aus dem Mundwinkel. »Ich hätte ihr kein Haar gekrümmt, so wie ich es dir versprochen habe!«
    »Und dabei bleibt es auch«, antwortete Pasquale, der offensichtlich den letzten Teil der Unterhaltung mit angehört hatte. Er holte mit dem Dolch aus und stieß ihn Giovanni mit aller Macht ins Herz. »Das ist für ihren Vater. Für Piero Foscari, den Glasbläser.«
    »Komm her, Chiara. Komm zu mir!« Marco kniete auf dem Boden und streckte die Arme aus. Er lachte begeistert, als die Kleine auf ihn zuwackelte, ein Beinchen vors andere setzend und das Gesicht zu einem Lächeln verzogen, das zwei blitzende Zähnchen sehen ließ.
    Marco rutschte ein Stück rückwärts, damit Chiara weiterlief. »Sie kann laufen!«, rief er aus. »Sie kann es wirklich!«
    »Übertreib es nicht«, mahnte sein Vater. Francesco saß Sanchia gegenüber in einem Lehnstuhl. »Wenn sie fällt, tut sie sich weh!«
    Als hätte die Kleine seine Worte verstanden, verlor sie das Gleichgewicht und plumpste auf ihre Kehrseite. Sie fiel weich, weil sie eine Windel trug, doch das abrupte Ende ihres Gehversuchs schien das kleine Mädchen zu verstören. Für einen Moment schaute sie unsicher drein, dann fing sie an zu weinen.
    Marco sah aus, als wollte er ebenfalls gleich in Tränen ausbrechen. Hastig sprang er auf, rannte zu seiner kleinen Nichte und riss sie förmlich in seine Arme. »Nicht weinen! Ich bin doch bei dir!« Er ließ sie auf und ab hopsen, bis ihre hellen Löckchen wippten. »Marco ist hier! Schau!« Er schnitt eine Grimasse, mit der er schon öfter für gute Laune gesorgt hatte, und tatsächlich versiegten die Tränen gleich darauf. Die Kleine lachte und patschte ihm mit dem Händchen ins Gesicht. »Ma-ko«, sagte sie.
    Er himmelte das Baby an und schleppte es durch den Portego zu seiner Kammer. »Ich habe ein neues Buch, Vater hat es mir mitgebracht. Soll ich dir daraus vorlesen?«
    »Lass sie es nicht anfassen«, rief Sanchia ihm nach. »Sie wird es nur aufessen wollen!«
    An Francesco gewandt, setzte sie hinzu: »Im Moment steckt sie alles in den Mund, was sie in die Finger kriegt.«
    »Das ist wohl so üblich bei Kindern in dem Alter.« Versonnen schaute er Marco und der Kleinen nach.
    Sanchia fragte sich, ob er es bereute, dass er bei keinem seiner Kinder wirklich Vater hatte sein dürfen. Für Lorenzo war er zeitlebens nur dessen Onkel gewesen, und seinen zweiten Sohn hatte er bei dem Brand vor vielen Jahren verloren, als das Kind kaum zwei Jahre alt gewesen war. Marco war mit seinen elf Jahren aus dem Alter heraus, in dem man mit seinem Vater noch Kinderspiele veranstaltete. Francesco hatte ihm angeboten, ihn bei sich aufzunehmen, doch Marco hatte es vorgezogen, bei Sanchia zu bleiben, und Francesco stellte diese Entscheidung zum Glück nicht infrage.
    Dennoch besuchte Francesco den alten Palazzo, sooft es seine Zeit zuließ. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich einander wirklich annähern konnten. Marco hatte Vorbehalte überwinden und akzeptieren müssen, dass er plötzlich einen Vater hatte, und auch für Sanchia war es nicht einfach gewesen, Francesco als Vertrauten und nahen Verwandten zu akzeptieren. Aber mit der Zeit hatte es funktioniert, sie hatten eine Ebene gefunden, auf der sie einander freundlich und wohlwollend begegnen konnten. In den beiden letzten Monaten war sogar so etwas wie Herzlichkeit zwischen ihnen aufgekommen, bedingt durch Chiaras zunehmende Fähigkeiten, an ihrer Umwelt Anteil zu nehmen. Sie lernte laufen und sprechen – und war wie so viele weibliche Wesen vor ihr hingerissen von Francesco. Sie liebte ihn über alle Maßen und jauchzte jedes Mal begeistert, wenn er zur Tür hereinkam.
    Mochte er auch als Vater bisher glücklos gewesen sein – als Großvater war er nicht zu übertrumpfen. Er war geradezu närrisch mit der Kleinen und schleppte bei jedem Besuch so viele Geschenke an, dass Sanchia bereits ironisch angekündigt hatte, bald in ein größeres Haus umziehen zu wollen.
    Er hatte ihr daraufhin nochmals ernsthaft angeboten, sie und die Kinder in der Ca’ Caloprini aufzunehmen, wo er seit dem Tod seines Bruders und seines Vaters wieder lebte, doch sie hatte es kategorisch abgelehnt. Sie konnte sich dem Haus problemlos nähern und es auch betreten, so weit ging ihre Abneigung gegen den Palazzo nun doch nicht, doch allein bei der Vorstellung, was dort im letzten Jahr passiert war,
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