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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung
Autoren: Christoph Born
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Genau das waren die Dinge, die sich nicht im Voraus planen ließen. Ein Plan konnte noch so perfekt durchdacht und ausgearbeitet sein – er blieb nur Theorie bis zu dem Moment, wenn er der Wirklichkeit standhalten musste. Jeden Tag, bei jeder Verhandlung, hatten die Fenster offen gestanden, aber ausgerechnet jetzt kam dieser verdammte Regenschauer!
    Ja, dachte Wulf, das ist eine Fügung von oben, eine Prüfung! Jetzt muss ich Stärke zeigen und Willenskraft, denn es gibt sie, diese entscheidenden Augenblicke im Leben eines Menschen, in denen er durch seinen Glauben alle Widerstände überwinden muss. Der Glaube kann Berge versetzen – hieß es nicht so in der Bibel?
    »Die erste Art von Büchern handelt vom christlichen Glauben und von den Sitten. Diese Schriften sind so einfältig und evangelisch, dass selbst meine Gegner zugeben, dass sie nützlich und unschädlich sind; wert, dass ein Christ sie lese. Selbst die Bulle des Papstes, die voller wütender Grausamkeiten steckt, erklärt einige meiner Bücher für unschädlich. Diese zu widerrufen, wäre also völlig unsinnig und würde eine Wahrheit verdammen, zu der sich Freund und Feind gleichermaßen bekennen. Anders verhält es sich mit der zweiten und dritten Art von Büchern, die ich geschrieben habe.«
    Während Luther sprach, beugte sich ein bärtiger Mann zum Kaiser hinüber und flüsterte ihm fortwährend etwas ins Ohr. Das musste wohl der Dolmetscher sein, denn Karl war im Ausland aufgewachsen, wusste Jost. War es tatsächlich möglich, dass der Kaiser die Landessprache nicht beherrschte?
    »Die zweite Gattung richtet sich gegen das Papsttum und die Papisten und damit gegen Leute, die mit elender Lehre und Beispiel die Christenwelt geistig und körperlich verwüsten. Die Papstgesetze haben das Gewissen der Gläubigen gepeinigt und gemartert. In unglaublicher Tyrannei und in der unwürdigsten Weise verschlingen sie das Hab und Gut der Menschen. Wollte ich also diese Schriften widerrufen, so würde ich der Tyrannei neue Kraft zuführen. Und mit meinem Widerruf würde ihre Bosheit noch zügelloser und unverschämter und dem Volk gänzlich unerträglich. Lieber Gott, was wäre ich doch da für ein Werkzeug der Bosheit und der Tyrannei!«
    Jost freute sich, dass Luther nun ganz er selbst war, endlich hatte er seine anfängliche Scheu und Ängstlichkeit vollständig abgelegt. Er sprach frei und geradeheraus. So kannte und liebte Jost ihn; ein Starrkopf, aber einer, der das Herz am rechten Fleck trug. Wie würde der Kaiser reagieren? Seinem Gesicht war anzumerken, dass er Luthers Ausführungen missbilligte. Würde dessen Mut mit dem Scheiterhaufen belohnt werden? Josts Blick wanderte hoch zur Empore. Die Fenster waren nun verschlossen, der Regen hatte genau im rechten Moment eingesetzt. Der Saal lag im Halbdunkel.
    »Zur dritten Art gehören die Bücher, die ich gegen einzelne und – wie man sagt – hervorragende Leute geschrieben habe; Leute, die die römische Tyrannei schützten und deren Ziel es war, das Christentum, wie ich es lehre, zu erschüttern. Gegen sie bekenne ich, heftiger gewesen zu sein, als mit der heiligen Sache und meinem Stande verträglich ist. Ich will ja keinen Heiligen aus mir machen. Ich verfechte nicht mein Leben, sondern Christi Lehre. Aber widerrufen kann ich auch diese Schriften nicht. Denn es würde zur Folge haben, dass Tyrannei und Gottlosigkeit unter meinem Schutz herrschten und schlimmer denn je gegen das Volk wüteten.«
    Es gab nun einmal Situationen im Leben eines Menschen, die sich der eigenen Herrschaft entzogen. Wulf wusste das seit langem. Mit den Jahren war er bescheidener, um nicht zu sagen demütiger geworden, was die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten anbelangte. Wenn der Mensch mit übergeordneten Mächten konfrontiert war, half nur das Gebet; davon war Wulf tief überzeugt. Wie köstlich war es in solchen entscheidenden Augenblicken, auf die Hilfe eines Vermittlers – einer Vermittlerin – vertrauen zu dürfen.
    Geliebte, teure Jungfrau, die Stimmen in mir, so vielfältig und verworren sie sein mögen, sammeln sich alle und verschmelzen in eins, wenn ich zu dir bete, das war noch immer so, das ist so süß und tröstlich, du glaubst nicht, wie peinigend es oft ist, von diesen Stimmen, diesen drängenden, fordernden Stimmen, in verschiedene Richtungen gezerrt zu werden. Nur bei dir finde ich den Frieden, den ich mehr als alles andere begehre, und nun ist wieder einmal der Moment gekommen, teure Jungfrau, dass
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