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Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)

Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)

Titel: Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
Autoren: Jocelyn Kelley
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mit dem Grundriss vertraut, um mich bei Bedarf selbst zurechtfinden zu können.«
    Die Äbtissin, die von der Ankunft der Königin erfahren haben musste, da sie unter dem Türbogen am Ende des Ganges wartete, begrüßte Eleonor, der sie kaum bis zur Schulter reichte, lächelnd und mit einem tiefen Knicks, worauf sie von der Königin auf beide Wangen geküsst wurde. Sie bot der Königin auf der gepolsterten Bank vor dem einzigen Fenster des Raumes Platz an und begrüßte den jungen Prinzen.
    Dieses Gemach mit der gewölbten Balkendecke war reicher möbliert als die meisten anderen Räume der Abtei. Die Beine des langen Tisches waren den Tieren des Waldes nachgebildet. Es war in ihrem dritten Jahr in der Abtei, als der Künstler die Tierfiguren geschnitzt hatte; damals hatte Avisa sich manchmal in das Privatgemach der Äbtissin geschlichen, um ihm zuzuschauen. Die Äbtissin saß oft hier, wenn sie las oder schrieb. Vier Stühle und eine zweite Bank standen vor dem Kamin, in dem ein Feuer knisterte. Ein Betpult duckte sich in einer Ecke unter einer Nische, in der ein Kreuz im Licht der darunter brennenden Kerze schimmerte. In der Ecke gegenüber schlummerte ein Katzentrio, das Mäuse von diesem Raum fernhielt.
    Avisa hatte dieses Gemach oft betreten, um über eine neue Novizin oder die Fortschritte einer Schülerin zu berichten. Jedes Mal hatte sie sich vorgestellt, wie es sein mochte, wenn diese Räume ihr gehörten und die Bürde der Führung der Abtei auf ihr lastete. Zwar hatte die Äbtissin keine Zukunftspläne verlauten lassen, doch glaubten viele der Mitschwestern, die Wahl würde auf Avisa fallen. Es war keine Ehre, die sie anstrebte. Das Unterrichten und die Vervollkommnung ihrer eigenen Fähigkeiten brachte ihr große Befriedigung. Die Vorstellung, diese Aufgaben aufzugeben und Äbtissin zu werden, war wenig erstrebenswert.
    Und nun war Königin Eleanor gekommen. Ihre Ankunft musste etwas zu bedeuten haben, doch Avisa konnte sich nicht vorstellen, was dies sein mochte. War die Königin gekommen, um die Äbtissin mit der Überwachung des Baues einer Filialabtei zu beauftragen? Dieses Gerücht war in den letzten Wochen im Kloster umgegangen. Dann würde sich vielleicht alles ändern, was Avisa teuer war.
    Eine Tür am anderen Ende des Raumes wurde geöffnet, und auf die Aufforderung der Königin trat eine Frau ein. Sie verneigte sich von der Taille aus, eine Sitte ihrer Heimat, die weit im Osten des fernen Persien lag. Als sie sich aufrichtete, glitt ihr das lange, glatte Haar wie Seide über die Schultern. Ihre exotischen Züge, die sie von den anderen in der Abtei unterschieden, kündeten von Gelassenheit, doch Avisa kannte ihre Lehrerin und Freundin gut genug, um Narikos Anspannung angesichts der Königin von England zu spüren.
    »Ihr seid Nariko?«, fragte Königin Eleanor.
    »Die bin ich.« Ihre Worte verrieten nur andeutungsweise, dass ihre Heimat am anderen Ende der Welt lag.
    »Habt Ihr Avisa de Vere die Finte beigebracht, die meinen Ritter mit einem einzigen Tritt gegen sein Handgelenk entwaffnete?«
    »Ja.«
    »Er wurde überrumpelt.«
    Als Nariko lächelte, verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen über ihren makellosen Wangen. »Die Krieger dieses Landes kennen nur den Kampf mit Waffen aus Holz, Eisen und Stahl. Ich hingegen lehre, wie man seinen Körper gegen den Feind einsetzt.«
    »Du hast bei deinen Schülerinnen ganze Arbeit geleistet, Nariko. Ich danke dir.«
    Nach einer Verbeugung schritt Nariko rücklings zur Tür und verließ das Gemach. Avisa wusste, dass ihre Freundin genau wie sie selbst es eilig hatte, zu ihren Schülerinnen zu kommen.
    Die Äbtissin ließ Essen und Wein für ihren Gast auftragen. Während die Äbtissin das Wetter und die Mühsal einer langen Reise erörterte, verharrte Avisa an der Tür. Ehe sie nicht entlassen wurde, durfte sie sich nicht entfernen. Hatte man ihre Anwesenheit vergessen?
    »Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Jahre vergehen, ehe ich wiederkommen konnte«, sagte die Königin. Auch auf der Bank sitzend, war sie jeder Zoll eine Königin. Sie hielt den Kopf hoch, die Hände lagen anmutig im Schoß gefaltet.
    Die Äbtissin zog einen Stuhl an den Tisch und setzte sich. »Ich betete darum, dass Euer Kommen nicht nötig wäre.«
    »Ich ebenso. Leider werden in schweren Zeiten wie diesen nicht alle unsere Gebete erhört.« Sie sah zu Avisa hin.
    »Tretet näher, Schwester Avisa«, beeilte sich die Äbtissin zu befehlen.
    » Lady Avisa«, korrigierte
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