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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor
Autoren: Werner Schrader
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hielt: Man glaubte, er sei mit den Entführern im Bunde! »Die sind ja verrückt!« sagte er laut und klopfte an die Tür. »Macht auf!« schrie er. »Ich will alles sagen!«

Oskar greift ein

    Oskar Schlettmann und Rita hatten den schweren Unfall überlebt. Während die Haushälterin zwar außer Lebensgefahr, aber noch immer bewußtlos war, war er wieder Herr seiner Sinne. Er lag im Krankenbett, hob und senkte die Arme, betrachtete seine Fingernägel und grübelte. In seiner Erinnerung gab es leere Stellen, die er noch nicht füllen konnte. Irgend etwas bemühte sich, in sein Bewußtsein zu gelangen, und machte ihn unruhig. Er konnte aber nicht ergründen, was es war.
    Rechts neben ihm lag ein alter Mann, der fast immer schlief und in den zwei, drei Stunden am Tag, da er wachte, kein Wort sprach. Mit dem jungen Mann an seiner linken Seite hingegen, der wie er einen Verkehrsunfall erlitten hatte, konnte er sich unterhalten. Und auf dem Umweg über ihn fand Oskar sein Gedächtnis wieder. Der Mann war jung verheiratet und bekam eines Tages Besuch von seiner Frau. Die hatte ausnahmsweise die Erlaubnis erhalten, ihren kleinen Sohn mit ins Krankenhaus zu nehmen, damit sein Vater ihn mal wieder sehen konnte.
    Beim Anblick des Kindes nun, das fröhlich quiekend nach dem Mohrenkopf griff, den die Frau mitgebracht hatte, und sich die weiße Füllung ins Gesicht patschte, durchzuckte es Oskar von Kopf bis Fuß. Er sah die Kinder seiner Schwester vor sich, besonders den kleinen Willy, der Sahnetorte aß und, ungeschickt wie er war, Nase, Wangen und Hals damit beschmierte. »Mein Gott«, rief er, »was ist mit den Kindern?« Er hatte plötzlich wieder alles vor Augen: die Fahrt mit dem übervollen Auto, das Moor, die fröhlichen Gesichter seiner Nichten und Neffen. Und er erlebte noch einmal, wie er mit dem Auto im Morast versank, wie er die Kinder mit ihrem Handwagen allein losschickte, die Moorkate zu suchen, wie der Bauer ihn mit dem Traktor aus dem Schlamm zog und wie er in einer Kurve die Gewalt über sein Auto verlor und auf den Baum zuraste.
    »Ich muß zu meinen Kindern!« schrie er. »Schwester! Kommen Sie doch! Ich muß zu meinen Kindern!«
    Der Kleine mit dem Mohrenkopf drückte sich ängstlich an die Mutter und fing an zu weinen, der junge Mann aber fürchtete, Oskar hätte den Verstand verloren, da er ihm längst erzählt hatte, daß er nicht verheiratet sei und keine Kinder habe.
    Er klingelte schnell nach der Stationsschwester, damit sie dem Bedauernswerten eine Beruhigungsspritze gebe. Oskar wollte aber nichts wissen von einer Spritze. Er ließ die Schwester nicht an sich herankommen. »Lassen Sie den Unsinn!« schrie er. »Ich bin ganz normal. Mir ist nur eingefallen, was mich schon die ganze Zeit bedrückt: Ich habe acht Nichten und Neffen ins Moor geschickt. Ohne Geld! Die müssen längst verhungert sein. Ich muß sofort zu ihnen! Was soll ich tun?«
    Am Abend dieses Tages läutete im Hause von Claudia Glanert, der Studentin, die Oskar den Kindern ins Moor hatte mitschicken wollen, das Telefon. Und am Tage darauf hielt ein Mietwagen vor ihrer Tür. Claudia stieg ein und ließ sich ins Moor fahren. Zuerst zu Brummers Landhaus, um dort den Wirt zu fragen, wo genau die Moorkate des Worpsweder Kunstmalers Oskar Schlettmann stand. Der Wirt mußte es wissen, da er den Kauf seinerzeit vermittelt hatte. Und dann ging es weiter nach Augustendorf. Der Fahrer des Mietwagens half suchen, und weil die Beschreibung des Wirtes sehr genau gewesen war, fanden sie die Kate bald. Von den Kindern allerdings sahen sie nicht eines.
    Darauf war Claudia vorbereitet. Oskar hatte ihr am Telefon gesagt, daß er sich möglicherweise verfahren und die Kinder an einer falschen Stelle abgesetzt hätte. Darum suchten sie weiter. Sie durchstreiften das Moor in der ganzen Umgebung, liefen selbst um den See im Naturschutzgebiet herum, hatten aber keinen Erfolg. Müde kamen sie schließlich wieder an die Straße.
    »Es hat keinen Zweck, weiterzusuchen«, sagte Claudia, »die Kinder sind längst woanders. Wir wollen zurückfahren.« Sie stiegen ins Auto und fuhren los.
    Nachdem sie etwa einen Kilometer gefahren waren, sahen sie, wie ein schwarzer Mercedes vor ihnen von der Straße abbog und ins Moor fuhr. Er war mit vielen Personen besetzt. Vorn neben dem Fahrer saß ein Junge, der den Weg zu weisen schien, da er, für Claudia deutlich sichtbar, mit dem Arm gewinkt hatte.
    »Ich weiß, es ist dumm von mir, was ich jetzt vorschlage«, sagte sie,
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