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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck
Autoren: Conny Walden
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abzuwarten, so hatte Herward inzwischen beschlossen. Er würde abwarten, bis er sein eigenes kleines Gewicht – oder vielleicht auch nur das seines Dolches – am wirkungsvollsten einzusetzen vermochte, und zwar so, dass er selbst den größtmöglichen Nutzen davontrug. Die Nachrichten aus Dänemark hatten ihn nämlich sehr nachdenklich gemacht. Insbesondere, was den unklaren Aufenthaltsort des Königs selbst betraf, der offenbar kein besonderes Zutrauen mehr zum Geschick jener hatte, die für ihn auf den Schlachtfeldern standen.
    »Reißt ein paar Häuser ab!«, rief jetzt Brun Warendorp. »Wir brauchen Platz für die Katapulte!«
    Tage vergingen, sammelten sich zu Wochen und schließlich zu Monaten. Die Festung blieb eingeschlossen, und die Hansetruppen schienen sich darauf eingestellt zu haben, länger zu bleiben. Ein Angriff, bei dem des Nachts Söldner der Hanse versucht hatten, mit Seilen und Steigeisen die Mauern zu überwinden, war blutig abgewehrt worden. Tageweise wurden daraufhin mit den inzwischen an Land verbrachten Belagerungsmaschinen und Katapulten Steine auf die Festungsmauern geschleudert. Steine, die zum Teil aus den Mauern der wenigen massiven Häuser herausgebrochen worden waren, die es in der Stadt gab. Die meisten Gebäude waren in Fachwerkbauweise errichtet worden, auch sie wurden zum Teil niedergerissen. Das Holz wurde für die Lagerfeuer oder als Rohmaterial für die Herstellung von Pfeilen oder Lanzen benutzt.
    Der Festungsvogt hatte die Devise ausgegeben, dass Helsingborg unbedingt zu halten war. So zumindest hatte Frederik dessen Worte für Johanna übersetzt, als er zu den Söldnern sprach, die zur Verteidigung bereitstanden.
    »Wollen wir hoffen, dass er das auch so meint«, sagte Frederik dazu.
    »Wieso sollte er denn nicht?«, wollte Johanna wissen. Frederik hob die Schultern. »Der Festungsvogt ist mit Sicherheit besser informiert als wir. Er empfängt Botschaften mit Hilfe von Brieftauben. Und stell dir vor, er könnte von nirgendwoher noch Hilfe erwarten und nicht nur der König, sondern auch sein Reichsdrost wären plötzlich unauffindbar …«
    »Hältst du das für möglich?«
    »Nachdem Kopenhagen gefallen ist – ja sicher!«
    »Dann könnte hier alles im Handumdrehen vorbei sein.«
    »Richtig.«
    »Und wir sitzen in der Falle.«
    »Wir können nicht viel mehr tun als abwarten, was geschieht, und dann das Beste daraus machen.«
    Es waren so viele Menschen in der Festung, dass kaum genug Platz für alle zum Schlafen vorhanden war. Der Schlafsaal der Mönche, in dem Frederik übernachtet hatte, seit er in Helsingborg war, war inzwischen durch Familien aus der Stadt überfüllt. Die Unterkünfte der Söldner waren ohnehin belegt, sogar der Kerker, den Johanna schon kennengelernt hatte, wurde von Flüchtlingen aus der Stadt bewohnt.
    Um nicht draußen schlafen zu müssen, verbrachten Frederik und Johanna die Nacht oft auf den Aufgangstreppen der Türme oder in der Kirche, die zur Festung gehörte und in deren Mittelschiff ebenfalls Hunderte von Männern, Frauen und Kindern kampierten. Das einzig Gute war, dass Johanna und Frederik in diesem Chaos nicht weiter auffielen und sich niemand fragte, wer die beiden seien.
    Täglich hielt der Kaplan einen Bittgottesdienst ab. Seine Aussprache der lateinischen Texte unterschied sich zwar stark von dem, was Johanna aus den Kirchen in Lübeck, Stralsund oder sogar Köln gewohnt war, aber es waren die gleichen Texte. Und die gaben ihr ein Gefühl der Vertrautheit und des Trostes.
    Oft wurden in der Kirche auch Speisungen durchgeführt. An Nahrungsmitteln herrschte noch kein Mangel. Vor allem Stockfisch wurde ausgegeben.
    »Etwas eintönig, aber es knurrt einem nicht der Magen«, meinte Frederik. »Bei den Mönchen gab es das auch oft – und man hatte das Gefühl, dass andauernd Fastenzeit ist.«
    »Besser als dieses überwürzte Fleisch, das mein Wirt immer seinen Gästen angeboten hat.«
    »Immerhin hat er weder am Fleisch noch an Gewürzen gespart.«
    »Ja, aber an Letzterem nur deswegen nicht, damit niemand schmecken konnte, dass das Fleisch schon halb verdorben war.«
    Sie saßen auf einer Bank in der Kirche, sahen ein paar Kindern beim Spielen zu, die so unbeschwert wirkten, dass man kaum glauben konnte, mitten im Krieg in einer belagerten Festung gefangen zu sein.
    In einer der nächsten Nächte folgte ein heftiger Angriff durch die Katapulte der Hanse. Mit Springalds wurden mit Pech versehene, balkendicke Brandpfeile
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