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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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mehr tun müssen.
     
    Es goss, als wolle Berlin ersaufen. Der Taxifahrer beugte sich weit vor, um durch die überschwemmte Scheibe hindurch die Hausnummern zu erkennen.
    »Ist es das hier? - Ja, das muss es sein«, bestätigte er sich selbst, als Kyra nichts antwortete. Er stoppte den Wagen. »Dreiundzwanzig achtzig bekomm ich dann.«
    Misstrauisch verfolgte er im Rückspiegel, wie die blut-überströmte Frau in den Taschen ihrer Lederjacke wühlte.
    Sie reichte ihm einen Zehn- und einen Zwanzigmarkschein nach vorn und öffnete die Tür. Sie stöhnte, als sie das erste Bein nach draußen setzte.

    Der Fahrer drehte sich um. »Warten Sie, wollen Sie nicht -«
    »Vergessen Sies.«
    Sie knallte die Wagentür zu und holte Luft. Der Regen tat gut. Ohne Regen wäre sie in Ohnmacht gefallen. Sie blieb einige Sekunden stehen, hörte das Taxi davonfahren. Die Schmerzen in ihrem Oberkörper waren so grotesk geworden, dass sie beinahe gelacht hätte. Wie viele Rippen sie gebrochen hatte? Alle? Sie wischte sich die Haare, die ihr wie Seetang ins Gesicht hingen, aus der Stirn.
    Hier war es. Hier war es also, wo sie wohnte. Die Herzlose.
    Kyra wankte zu dem Gartentor und hielt sich an den massiven Eisenstäben fest. Sie musste sich bücken, um die Namen auf den schwach beleuchteten Klingelschildern entziffern zu können. »Kretzschmann« las sie, »Hubert und Elfriede Kretzschmann«. Und darunter: »Schröder. Schröder, Gartenhaus«.
    Die Schmerzen wurden schlimmer. Sie musste einen Moment die Augen schließen und sich an einen der Steinpfeiler, die das Tor säumten, lehnen. Ihre Zähne klapperten wild. Sie holte Luft und schlug sich mit der flachen Hand ins Gesicht. Erst dachte sie, sie würde zusammenklappen, aber dann ging es besser. Sie stieß sich von dem Pfeiler ab und betrachtete den Zaun. Nicht allzu hoch. Und keine Warnung vor dem Hund. Sie lachte. Wie sollte die Herzlose auch in einem Haus mit Hund wohnen. Die beiden venezianischen Gipslöwen rechts und links auf den Pfeilern, das war die Art von Tier, die so eine liebte.
    Kyra biss die Zähne zusammen, fasste die Enden der Eisenstäbe kurz über der obersten Querstange und zog sich hoch. Ihre untrainierten Muskeln zitterten.
    Komm, komm, komm. Zum Verrecken war vorhin Zeit.
    Irgendwie schaffte sie es, sich über den Zaun zu hieven. Hart landete sie auf der anderen Seite im Kies.

    Im Haupthaus war alles dunkel. Ob alles ruhig geblieben war, konnte sie nicht hören, ihr eigenes Blut dröhnte zu laut. Mühsam raffte sie sich auf. Sicher waren die Leute, die vorne im Haus lebten, alt und schwerhörig. In dieser Gegend lebten nur die Reichen, Alten und Schwerhörigen.
    Sie hinkte den Kiesweg entlang, der seitlich an der Villa vorbeiführte. Es wurde noch finsterer, als sie hinter das Haus kam. Der große Gründerzeitkasten verdeckte das Licht der Straßenlaternen. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die endgültige Dunkelheit gewöhnt hatten.
    Dort. Nicht gut zu erkennen, am anderen Ende des Parks. Dort war es. Das Gartenhaus. Auch hier alles dunkel.
    Kyra drückte die Klingel und schlug gleichzeitig gegen die Tür. Niemand antwortete. Nirgends wurde Licht angemacht. Sie ging hinter das Haus. Es war klein. Zweistöckig. Die richtige Mischung aus Puppenhaus und Hexenhaus.
    Irgendwie schafften es ihre Zähne, gleichzeitig zu klappern und zu knirschen.
    Wo steckst du, du Bastard, ich weiß, dass du da drinnen bist.
    Sie ging wieder zurück zum Eingang, schneller, der Regen hatte weiter zugenommen, doch das interessierte sie nicht, es konnte nicht sein, dass die da drinnen nicht da war, wo sollte sie sein, wenn nicht da drinnen, es war das richtige Haus, das spürte sie, spürte sie ganz deutlich -
    Sie wusste nicht, wie der Stock in ihre Hand gekommen war. Die Fensterscheibe zu ihrer Rechten zersplitterte. Sie erstarrte. Kein Lebenszeichen im Haus. Sie lachte auf. Wie konnte sie von der Herzlosen auch ein Lebenszeichen erwarten.
    Sie entfernte so viel von der Fensterscheibe, dass sie zum Griff hindurchfassen konnte, ohne sich die Pulsadern aufzuschneiden. Der Griff ließ sich mühelos drehen.
    Der dunkle Raum, in den sie kletterte, musste die Küche sein. Auf sonderbare Weise war es hier drinnen heller als
draußen. Und kälter. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, weil sie endlich im Trockenen stand. Für einige Sekunden überließ sie sich dem Zittern, das aus ihrem Brustkorb kam. Plötzlich begriff sie, warum es hier drinnen so hell war. Alles war weiß. Der
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