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Die Herren von Hermiston

Titel: Die Herren von Hermiston
Autoren: Robert Louis Stevenson
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stand dort in seinem Todesschweiß, ohne Abwehr, ohneEntschuldigung, mit einem wehen Hals, ein Etwas, das Scham einen jeden zu verhüllen zwang: ein Wesen, so weit unter der Grenze der Sympathie und des Mitleids, daß es fast harmlos anmutete. Und der Richter hatte es mit monströser, mit genießerischer Heiterkeit, ein Bild aus einem Albtraum, über alle Maßen furchtbar, in den Tod gehetzt. Einen Tiger erlegen ist ein ander Ding als eine Kröte zertreten; selbst das Schlachthaus besitzt seine Ästhetik; und das Abstoßende, das Archie bei Duncan Jopps Anblick empfand, hatte auf seinen Richter übergegriffen und verpestete dessen Bild.
    Unter wirren Reden und Gesten schritt Archie auf der Hauptstraße an seinen Freunden vorüber. Wie im Traum erblickte er Holyrood, Erinnerung an dessen romantische Geschichte erwachte und verblaßte wieder, visionär sah er die alten, strahlenden Gestalten: Maria Stuart, Prinz Charlie, den gekrönten Hirsch, den Glanz und die Verbrechen, Samt und funkelnden Stahl der Vergangenheit. Er verscheuchte das alles mit einem schmerzlichen Aufschrei. Jetzt lag er stöhnend auf der feuchten Erde von Hunters Bog, und die Himmel über ihm waren verdunkelt und die Gräser auf dem Felde ein Greuel in seinen Augen. »Das ist nun mein Vater«, dachte er. »Von ihm habe ich das Leben empfangen; das Fleisch auf meinen Knochen ist sein Fleisch, das Brot, das ich esse, ist der Lohn dieser Scheußlichkeiten.« Er gedachte seiner Mutter und trommelte mit der Stirn gegen den Boden. Er dachte an Flucht und an ein neues Leben. Wohin sollte er wohl fliehen? Und gab es überhaupt ein Leben, des Lebens wert, in dieser Höhle blutrünstiger, schadenfroher Tiere?
    Die Zeit bis zur Hinrichtung verging ihm wie ein quälender Traum. Er kam mit seinem Vater zusammen, allein er konnte ihn nicht ansehen, er brachte es nicht über sich, mit ihm zu sprechen. Man hätte glauben können, jedes lebende Wesen müsse unverzüglich diese schwelende Feindschaft empfinden, aber des Lord Oberrichters Fell blieb unverletzt. Wäre Mylord zum Sprechen aufgelegt gewesen, der Waffenstillstand hätte niemals dauern können; aber zum Glück befand er sich gerade in einer seiner Launen sauertöpfischen Schweigens, und so nährte Archie die Begeisterungsflamme der Rebellion unter den Breitseiten des Feindes selbst. Ihn dünkte es von der Höhe seiner neunzehnjährigen Erfahrung herab, als sei er von Geburt aus dazu bestimmt, Träger irgendeiner großen Tat zu werden, die am Boden liegende Barmherzigkeit neu aufzurichten und den Teufel samt Hörnern und Klauen, der ihren Thron usurpiert, zu stürzen. Verführerische, jakobitische Trugschlüsse, die er im Speculative Club häufig widerlegt, tauchten vor seinem geistigen Auge auf und erschreckten ihn mit ihren Stimmen; und es war ihm, als wandle er in Begleitung einer fast greifbaren Gegenwart neuer Grundsätze und Pflichten einher.
    An dem betreffenden Morgen begab er sich an den Ort der Hinrichtung. Er sah den grinsenden Pöbel, sah die Vorführung des zitternden Verbrechers. Eine Weile war er Zeuge einer Art parodistischer Andachtsübung, die dem bejammernswerten Geschöpf noch seinen letzten Anspruch auf Menschentum zu rauben schien. Dann folgte der brutale Akt der Vernichtung und das armselige Zappeln der Überreste gleich denen eines zerbrochenenHampelmannes. Er war auf etwas Furchtbares gefaßt gewesen, nicht auf dieses Schauspiel tragischer Gemeinheit. Einen Augenblick verharrte er in seinem Schweigen, dann brüllte er: »Ich verdamme dies als einen gotteswidrigen Mord!«, und sein Vater, der zwar den Inhalt jenes Ausrufs zurückgewiesen haben würde, hätte doch die Stentorstimme, mit der dieser vorgebracht wurde, schwerlich verleugnen können.
    Frank Innes schleppte ihn mit Gewalt hinweg. Die beiden hübschen jungen Burschen folgten demselben Studium und den gleichen Vergnügungen und fühlten sich, hauptsächlich durch ihr gutes Aussehen, zueinander hingezogen. Dieses Gefühl ging jedoch niemals tief; Frank war von Natur ein schmächtiges, zynisches Geschöpf, weder fähig, Freundschaft zu empfinden noch einzuflößen, und die Beziehungen zwischen den beiden waren rein oberflächlich und wurzelten in gemeinsamen Kenntnissen sowie in den Annehmlichkeiten, die einem gemeinsamen Bekanntenkreise entspringen. Um so anerkennenswerter war es von Frank, daß er sich über Archies Ausbruch ehrlich entsetzte und zum mindesten den Vorsatz faßte, ihn tagsüber im Auge und, wenn möglich,
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