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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade
Autoren: Andreas Martin Widmann
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manchmal und reichte mir ein Stück kariertes Papier, das von einem Block abgerissen worden war. «Ich wette, die hat einen eigenen kleinen Block, nur für Einkaufslisten.»
    Dinge wie
     
    1 X VOLLKORNBROT
    2 X QUARK (MAGERSTUFE),
    2 X H-MILCH ( 1 , 5 %)
    1 X GURKE
     
    standen auf diesen Zetteln. Das Geld gab Lorna mir aus einem bestickten Beutel mit goldenem Klackverschluss. Meistens hatte sie es nicht passend, und ich musste zurücklaufen, meiner Mutter den Schein geben und gemeinsam mit ihr nach Münzen suchen. Wenn ich anschließend einen Haufen Kleingeld zurückbrachte, ließ Lorna es in ihren Beutel rutschen und seufzte dabei.
    «Gefällt es dir hier?», fragte sie einmal. Ich war mit nur einem einzigen Stück zu ihrem Wagen gegangen, mit einer gelben Schachtel, auf der das Bild eines Mannes zu sehen war, der eine Machete gegen einige hohe Halme schwang. ROHRZUCKER AUS ZUCKERROHR stand darunter, und ich hatte es immer wieder gelesen, während ich darauf wartete, dass mir geöffnet würde.
    «Ja», sagte ich. «Es ist nicht schlecht.» Sie lachte.
    «Nicht schlecht, das ist nicht schlecht, oder?»
    Das nächste Mal wollte sie, dass ich das Wechselgeld behielt, das ich ihr zurückgebracht hatte. «Für den weiten Weg», sagte sie.
     
    Meine Mutter erzählte mir eines Nachmittags, zwischen Supermarkt und Campingplatz, wir hätten ein paar ganz besondere Nachbarn bekommen, deren Tochter sogar beim Fernsehen sei. Oft hatte sie schon Geschichten von Nachbarn erzählt, in denen etwas Großartiges vorkam, und nie wusste sie irgendetwas ganz sicher. Doch diesmal brachte sie nur zwei Tage später eine Videokassette mit. Sie sagte, darauf seien einige Sendungen von Lisa Heller aufgezeichnet. Heller, so hießen die neuen Nachbarn.
    An diesem Abend schauten wir uns zu dritt das Video an. Wie die Möbel war unser Fernseher zu groß für den Container. Er stand inzwischen im Zimmer meiner Eltern, und wer fernsehen wollte, musste sich aufs Bett setzen. Wir rückten darauf zusammen, und mein Vater legte die Kassette ein. Das Erste, was zu sehen war, war Werbung. Mein Vater spulte vor und jagte einen kurzen Spot hinter dem nächsten her. Irgendwann erschien eine blonde Frau auf dem Schirm. Es sah aus, als würde sie unter Stromstößen zappeln.
    «Das muss sie sein», sagte meine Mutter. Mein Vater hielt das Band an. Am unteren Rand des Bilds liefen bunte Schriftzüge von links nach rechts, auf der rechten Seite blinkten Zahlen.
    «Fünfhundert Euro sind zu gewinnen», sagte die blonde Frau. «Fünfhundert», und dabei hielt sie eine Hand mit gespreizten Fingern nach vorn, als drückte sie gegen eine Wand aus Glas. «
Fünf-hundert
, die haue ich heute raus. Einfach anrufen und fünfhundert Euro gewinnen.»
     
    Als Petra mich bat, mit dem Kasten Wasser, den ich ihr gebracht hatte, kurz hereinzukommen, war Klaus nicht da. Sie bedankte sich und sagte, ich solle die Kiste neben der Tür abstellen, sie wolle die Flaschen später einsortieren. Was auch immer sie damit meinte, ich tat es und schaute mich um. Auf den ersten Blick war alles hier drinnen hellbraun oder orange, die Sitzgruppe vor dem Fenster, der Teppich, mit dem der Wagen ausgelegt war, das hochgeklappte Bett links, auch wenn die Sachen in Wirklichkeit aus Holz waren oder, wie der Teppich, grau. Wahrscheinlich lag es an der Sonne, die durch die zugezogenen Vorhänge fiel.
    «Klaus muss fahren», sagte Petra. Ich nickte, weil ich mittlerweile wusste, dass Klaus als Fahrlehrer arbeitete.
    «Kannst du mir mal helfen?», fragte sie.
    «Hoffentlich», sagte ich. Es sollte nicht unfreundlich klingen, ich wollte ihr nur nichts versprechen, bevor ich wusste, worum es ging. Sie gab mir ein Handy, das auf dem Tisch gelegen hatte.
    «Da sind irgendwelche Anrufe drauf, die ich nicht abhören kann», sagte sie. «Das macht mich ganz verrückt. Ich kenn die Nummer nicht.»
    Ich zog das Telefon aus seiner Hülle und drückte einige Tasten, um nach eingegangenen Anrufen zu suchen. Petra fuhr währenddessen mit den Fingerkuppen über die Tischplatte. Ihre Nägel waren lang und in einem hellrosa Pastellton lackiert, sodass sie schimmerten wie die Innenseite einer Muschel. Vorn waren sie nicht rund, sondern sehr gerade abgeschnitten, und es sah aus, als steckten sie in der Tischplatte fest.
    «Da sind zwei Anrufe», sagte ich.
    «Ich hab erst gedacht, es wär von der Arbeit, aber die Nummer kenn ich doch.»
    «Ja», sagte ich. Arbeit, das bedeutete bei ihr: Verkäuferin in einem
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