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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Autoren: Eric Walz
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vom ersten Augenblick ihres Kennenlernens an, und als Feinde trafen sie sich wieder.
    Warum? Was war der Grund, dass sie sich hier in einer Stadt, die nicht die ihre war, wiedersahen?
    Keine drei Atemzüge dauerte die Begegnung, dann schob sich Matthias zwischen Sandro und der ihn begleitenden Wache hindurch und verschwand mit festen, entschlossenen Schritten.
    Sandro hätte gerne mehr Zeit gehabt, sich wieder zu sammeln, doch die Wache meldete ihn an, und ohne dass er eine Pause gehabt hätte, um alle Gedanken zu sortieren, die ihm durch den Kopf gingen, stand er vor dem Fürstbischof.
     
    Cristoforo Madruzzo war nicht mehr jung, seine Wangen waren zwei Wülste, die sich auf der Höhe des Kinns überlappten, und auf seinen Lippen lag der Ausdruck ständiger Gequältheit – alles mögliche Gründe dafür, weshalb er auf eine Begrüßung verzichtete und Sandro mit zwei Fingern näher an den Sessel heranwinkte, in dem er saß. Ihm war – wie dem Saal, wie der ganzen Residenz – anzumerken, dass er sowohl Fürst von Trient als auch Bischof von Trient war. Das Gebäude war eine Mischung aus Burg, Schloss und Kloster, und bis zu Madruzzos Kleidung spiegelte sich die Unentschiedenheit wider, wer er gerade war, Apostel oder Herrscher. Als Apostel hatten er und seine Vorgänger sich bemüht, die Moral wiederherzustellen, die ab 1450 vom Wind einer neuen, freieren Zeit davongetragen worden war. In Trient waren, wie überall, Stätten der Vergnügung entstanden, Spiel- und Hurenhäuser. Das Volk berauschte sich an Karneval und bacchantischen Festen, und die Reichen gaben verschwenderische Bälle. Dann wurden alle Hurenhäuser der Stadt geschlossen, und die Moral hielt wieder Einzug. Heute war Trient ein beschaulicher Ort voller Bürger, die es weder zu wild trieben, noch zu sittsam waren, sondern die kleine Sünden mit einem Augenzwinkern abtaten. Als Fürst unterstand Madruzzo formal Kaiser Karl, dessen südlichsten Reichszipfel Trient bildete, als Bischof jedoch dem Papst – eine Konstellation, der die Stadt das Konzil verdankte.
    Sandro küsste Madruzzos Ring.
    »Mein Sohn, du bist mir als wacher Geist empfohlen worden«, sagte er. »Scharfsinnig seist du, wurde mir berichtet.«
    Dass Luis ihn derart gelobt hatte, wunderte Sandro ein bisschen, andererseits machte es ihn stolz.
    »Zu viel der Ehre, Exzellenz«, erwiderte er höflich.
    »Hoffentlich nicht. Denn wir brauchen jemanden, der scharfsinnig ist. Es hat in Trient ein Verbrechen gegeben, nicht irgendein Verbrechen, sondern ein besonders grausames, und es hat nicht irgendjemanden getroffen. Die Ermordung von Salvatore Bertani erschüttert mich zutiefst. Ich bin bestürzt. Ist dieser Tod schon an sich entsetzlich, so könnten die Folgen noch weitaus entsetzlicher sein. Und darum bist du hier, mein Sohn.«
    Madruzzo gab Sandro zu verstehen, dass er sich aus dem Sessel zu erheben wünsche. Sandro griff zu. Es erforderte zwei Anläufe und einiges an Kraft, den Fürstbischof auf die Füße zu ziehen. Auf einen Stock mit goldenem Knauf gestützt, wankte er, eine rote Schleppe hinter sich herziehend, in kleinen Schritten zum Fenster.
    Draußen begann sich der Himmel zu bewölken, ein geheimnisvolles Leuchten lag über dem Tal, und die Geräusche der Stadt drangen nur leise, wie aus weiter Ferne, hier herauf.
    »Mein Sohn, was weißt du über Bischof Bertani?«
    »Er war Vorbild für alle, die eine Kirchenreform befürworteten«, antwortete Sandro. »Er wollte es den Protestanten ermöglichen, in den Schoß einer reformierten Kirche zurückzukehren.«
    »Nicht nur das. Er hat brieflich mit dem deutschen Kaiser in Verbindung gestanden und ihm Empfehlungen gegeben. Bertani war es, der den Kaiser davon überzeugte, dass ein Konzil einberufen werden müsse, das Reformen beschließt, und er hat den Kaiser gedrängt, dahingehend auf den Papst einzuwirken. Das Ergebnis ist bekannt. Wir sind hier, nicht wahr?«
    »Dass Bischof Bertani einen solch großen Anteil am Zustandekommen des Konzils hatte, wusste ich nicht.«
    »Es gibt noch mehr, das du nicht weißt, mein Sohn. Der Kaiser hat den Papst nahezu gezwungen, das Konzil einzuberufen, und er verlangt von ihm, die Mehrheitsbeschlüsse des Konzils anzuerkennen, ganz gleich, ob sie ihm gefallen oder nicht. Andernfalls …«
    Sandro ahnte, was dieses »andernfalls« bedeutete. Karl V. war der derzeit mächtigste Monarch auf Erden. Er herrschte über das Heilige Römische Reich, Spanien und ganz Süditalien und Sizilien, dazu über
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