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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
Autoren: Margaret Atwood
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dich zusammen, Toby, sagt sie zu sich selbst. Mach’s dir doch nicht noch schwerer. Was du jetzt brauchst, ist eine Tasse Kaffee. Egal, was für welchen. Löwenzahnwurzel. Happicuppa. Notfalls auch schwarzen Schlamm.
    Und wenn’s Alkohol gäbe, würde sie auch den trinken.
    Ein großer Esstisch steht neben der Küchenbaracke. Darüber ist ein Schattensegel aus dem Garten irgendeines verlassenen Hauses gespannt. Die Terrassen müssen inzwischen verfallen sein, die Swimmingpools rissig und mit Unkraut zugewachsen, die kaputten Küchenfenster den eindringenden kleinen Ranken zum Opfer gefallen. In den Häusern, in den Zimmerecken sind Nester aus zerkautem Teppich, in denen haarlose Rattenbabys zappeln und quieken. Termiten graben sich durch die Balken. Fledermäuse machen in den Treppenhäusern Jagd auf Motten.
    »Sind erstmal die Baumwurzeln drin«, hatte Adam Eins gern zum inneren Zirkel der Gärtner gesagt, »haben sie erstmal richtig Fuß gefasst, hat kein Gebäude von Menschenhand noch eine Chance. Sie können asphaltierte Straßen aufreißen. Sie können Abflusskanäle verstopfen, und wenn erstmal die Kanalisation ausfällt, bröckeln die Fundamente, und keine Macht der Erde kann die Wassermassen aufhalten, und wenn dann noch die Versorgungsstationen Feuer fangen oder durch Kurzschlüsse lahmgelegt werden, ganz zu schweigen vom nuklearen …«
    »Dann kannst du deinem Frühstückstoast Adieu sagen«, hat Zeb einmal die Litanei unterbrochen. Er war gerade von einer seiner geheimen Missionen zurückgekehrt; er sah aus, als hätte er sich geprügelt, seine schwarze Fake-Lederjacke war zerrissen. Urbane Gewaltminimierung gehörte zu seinen Unterrichtsfächern in der Gärtnerschule, wobei er selbst nicht immer mit leuchtendem Beispiel voranging.
    »Ja, ja, wir gehen alle vor die Hunde. Gibt’s hier vielleicht irgendwo ein Stück Holunderbeertorte für mich? Ich bin am Verhungern.« Nicht immer zeigte Zeb vor Adam Eins den angemessenen Respekt.
    Spekulationen über den Zustand der Welt, nachdem der Mensch die Kontrolle über sie verloren hatte, bildeten – vor langer Zeit und auch nicht lange – eine heikle Form der Massenunterhaltung. Es hatte Online-Sendungen zum Thema gegeben: computergenerierte Landschaftsbilder mit äsenden Rehen auf dem Times Square, erhobene Zeigefinger, bierernste Experten mit Vorträgen darüber, wann und wo die Menschheit den falschen Weg eingeschlagen hatte. Das jedoch konnten die Menschen nur bis zu einem gewissen Grad ertragen, zumindest wenn man nach der Quote ging, die erst hammer war und dann in den Keller ging, als die Zuschauer vom dräuenden Weltuntergang zu Echtzeitwettbewerben im Hotdogessen schalteten, sofern sie auf Nostalgie standen, oder zur frechen Beste-Freundin-Komödie, sofern sie auf Stofftiere standen, oder zum Schwerverbrecher-Ringkampf, sofern sie auf abgebissene Ohren standen, oder zu Sendungen wie Strick-Muster (Livestream-Suizide) oder HeißeKleineScheißer (Kinderpornos) oder SchießMichTot! (Echtzeitexekutionen), sofern sie total abgebrüht waren. Alles wesentlich bekömmlicher als die Wahrheit.
    »Du weißt, dass ich immer nach Wahrheit gestrebt habe«, sagte Adam Eins damals in jenem gekränkten Tonfall, den er hin und wieder Zeb gegenüber anschlug. Diesen Tonfall hatte er ausschließlich für Zeb reserviert.
    »Doch, ist mir klar«, sagte Zeb. »Suchet, so werdet ihr finden, irgendwann. Und du hast gefunden. Du hast recht, keine Frage. Sorry. Das kommt davon, wenn man mit vollem Hirn kaut. Da quillt einem alles aus dem Maul.« Und dieser Tonfall bedeutete: So bin ich nun mal. Das weißt du. Akzeptier’s endlich .
    Wäre Zeb doch nur hier, denkt Toby. Kurz blitzt vor ihrem inneren Auge sein Bild auf, wie er unter einer Kaskade aus Scherben und Zementblöcken verschüttet wird, während mal wieder ein ausgebranntes Hochhaus einstürzt, oder wie er aufschreit, während sich unter seinen Füßen eine Kluft auftut und er in einen reißenden unterirdischen Fluss stürzt, der nicht mehr von Pumpen und Abwassersystem gebändigt wird, oder wie er sorglos vor sich hin summt, während hinter ihm ein Arm auftaucht, eine Hand, ein Gesicht, ein Stein, ein Messer …
    Aber es ist noch zu früh am Morgen für solche Gedanken. Bringt nichts. Also reißt sie sich zusammen.
    Um den Tisch herum steht eine wilde Mischung von Stühlen: Küchenstühle, Plastikstühle, Polsterstühle, Drehstühle. Auf dem Tischtuch – Rosen- und Rotkehlchenmuster – stehen Teller und
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