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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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kommt, den bestraft das Leben«, erklärt er mit Blick auf die Zustände in der DDR. Das SED-Politbüro stürzt Honecker und setzt Egon Krenz als neuen Generalsekretär ein. Aber die Protestlawine ist nicht mehr aufzuhalten. In den Kirchen und Straßen von Berlin, Leipzig, Dresden und vielen anderen DDR-Städten sammeln sich die Menschen und ihre Stimmen werden immer unüberhörbarer. An den legendären Montagsdemonstrationen nehmen schließlich Hunderttausende teil. Sie rufen: »Wir sind das Volk!« Und bald darauf: »Wir sind ein Volk!« Der Regierung bleibt nur die Alternative: Gewalt oder Zurückweichen. Am Abend des 9. November 1989 tritt nach einer Sitzung des Zentralkomitees deren Mitglied Günter |288| Schabowski vor die Kameras und erläutert ein neues Reisegesetz. Auf die Frage, ab wann das Gesetz denn gelte, antwortet er: »Sofort. Unverzüglich.« Der Bann ist gebrochen. Abertausende, die diese Worte im Fernsehen gehört haben, steigen in ihre Autos und fahren zu den Grenzübergängen. Die Tore öffnen sich, die Massen strömen in den Westen. Sie steigen auf die Berliner Mauer und jubeln und liegen sich in den Armen. Die DDR geht unter. Für die Menschen ist es wie ein rauschendes Fest.
    Die Bundesregierung und vor allem Helmut Kohl reagieren konsequent und den sich überschlagenden Ereignissen entsprechend rasch. In Verhandlungen mit Gorbatschow und den Westmächten gewinnt Kohl die Zustimmung aller vier Siegermächte des Jahres 1945 für eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Es gelingt ihm sogar, Moskau gegen die Zahlung eines Milliardenbetrages die Zustimmung für einen sowjetischen Truppenabzug aus der DDR und den Beitritt Gesamtdeutschlands zur NATO abzuringen. Mit dem deutsch-deutschen Vertrag tritt die ehemalige DDR der Bundesrepublik bei. Der Tag der Vereinigung wird von der Volkskammer auf den 3. Oktober 1990 gelegt. In der Silvesternacht versammeln sich über 1 Million Menschen vor dem Berliner Reichstag. Die Kirchenglocken der Stadt läuten, die Fahne der Bundesrepublik wird gehisst und die Menge singt die deutsche Nationalhymne – ein Lied, das im 19. Jahrhundert ein Dichter schrieb, der sich nichts sehnlicher wünschte als eine friedliche Revolution und ein vereintes, demokratisches Deutschland.
    Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums ist ein Weltereignis. Die wiedergewonnene deutsche Einheit bleibt dabei nur ein Mosaikstein. Der Triumph des Westens verführt Anfang der neunziger Jahre viele Beobachter zu euphorischen Zukunftsvisionen. Das »Ende der Geschichte ist erreicht«, beschwört der amerikanische Politologe Francis Fukuyama die Zukunft. »Man kann zugestehen«, meint der Geschichtsoptimist, »dass die Moderne auch dem Bösen im Menschen neue Dimensionen eröffnet hat, man kann sogar daran zweifeln, dass es einen moralischen Fortschritt der Menschheit gibt, und dennoch kann man davon überzeugt sein, dass der Lauf der Geschichte zielgerichtet und kohärent ist.« Mit dem Untergang des »realexistierenden Sozialismus« habe der Liberalismus, also auch der Kapitalismus gesiegt, meinen Männer wie Fukuyama.
    Die Druckerschwärze ist kaum getrocknet, da erlebt eine entsetzte Welt den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Wenig später kommt es in Ruanda zu einem Völkermord, dem Hunderttausende zum Opfer fallen. Am 11. September 2001 steuern arabische Terroristen zwei Passagierflugzeuge in die beiden Türme |289| des New Yorker World Trade Center und die Welt hält den Atem an. Wenige Monate später kämpfen amerikanische Soldaten gegen das radikalislamische Regime der Taliban in Afghanistan, wo sie den Kopf des »Bösen«, Osama bin Laden, und seine Kämpfer vermuten. Zwei Jahre später lässt Präsident George W. Bush die amerikanischen Streitkräfte in den Irak einmarschieren. Die Geschichte kennt kein Ende.
    Auch die Deutschen merken bald, dass der Alltag kein ewigdauerndes Jubelfest ist. Helmut Kohl verspricht den neuen Bürgern im Osten »blühende Landschaften« und seine westlichen Wähler beruhigt er mit dem Hinweis, die Kosten der Wiedervereinigung könne der Steuerzahler »aus der Portokasse« begleichen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Innerhalb weniger Jahre ist die marode Industrielandschaft der ehemaligen DDR zerschlagen. Wo einst Hunderttausende ihr Geld verdienten, verschandeln bald Industrieruinen die Landschaft. Die Treuhand-Gesellschaft, die in den neuen Bundesländern den Verkauf von Fabriken und Häusern, von Grundstücken und Geschäften
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