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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Norbert F. Pötzl
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mit Gott, sondern nur dessen vornehmstes Geschöpf. Zumindest dieser Zwiespalt war bald überwunden. Nachdem Königin Theudelinde, Tochter eines Baiernherzogs, ihre beiden Kinder aus der Ehe mit König Agilulf um das Jahr 600 hatte katholisch taufen lassen, begannen die Langobarden, den arianischen Glauben abzulegen und zum römischen Bekenntnis zu konvertieren. Damit fiel auch eine Schranke zur romanischen Bevölkerung in den langobardischen Gebieten: Durch Ehen konnten beide Volksgruppen allmählich verschmelzen.
    Allerdings gab es ab 607 zwei Bischöfe, die den Titel »Patriarch von Aquileia« beanspruchten. Weil das Kapitel in Aquileia mit der Wahl eines Patriarchen in Grado nicht einverstanden war, wählte es einen eigenen. Wegen der Bedrohung durch die Awaren verlegte dieser seine Residenz bald nach Cormòns, knapp 20 Kilometer südlich von Forum Iulii.
    Forum Iulii, dieser nordöstliche militärische Vorposten, wurde im Jahr 610 von einem Reiterheer der Awaren, die einst Verbündete der Langobarden gewesen waren, angegriffen; Herzog Gisulf II. fiel in der Schlacht. Seine Gemahlin Romilda konnte mit überlebenden Kriegern sowie Frauen und Kindern der Getöteten in die Stadt fliehen und sich hinter deren Mauern in Sicherheit bringen. Dann aber, erzählt Paulus Diaconus, habe sie den Anführer der Awaren erblickt und sich von seiner Schönheit blenden lassen: »Nach ihm, als sie ihn in seiner jugendlichen Kraft betrachtete, erfasste das schamlose Weib ein unseliges Begehren, und sie ließ ihn kurz darauf durch einen Boten wissen, dass sie ihm, wenn er sie zur Frau nähme, persönlich die Stadt mit allen, die darin seien, übergeben wolle. Der Barbarenkönig … sagte ihr in hinterhältiger List zu, ihr Angebot anzunehmen, und versicherte, dass er sie zur Frau nehmen wolle.« Daraufhin habe sie die Stadttore geöffnet. Die Awaren plünderten die Stadt, brannten sie nieder und verschleppten die Einwohner. Denen versprachen sie, wie Paulus berichtet, »sie würden sie in Pannonien, von wo sie ausgewandert waren, ansiedeln«. Dort angekommen, hätten die Awaren aber »beschlossen, alle schon älteren Langobarden über die Klinge springen zu lassen, die Frauen aber und die Kinder teilten sie, wie es das Schicksal von Kriegsgefangenen ist, unter sich auf«.
    Romilda, »die Hauptursache des ganzen Elends«, habe ein grausames Ende gefunden. Zwar habe der Awarenkönig sie, »wegen des Eides, so wie er ihn geleistet hatte, pro forma für eine Nacht zur Frau« genommen. »Schließlich aber überließ er sie zwölf Awaren, die sie eine ganze Nacht im Wechsel einer nach dem anderen vergewaltigten. Danach ließ er sogar einen Pfahl mitten auf dem Feld einrammen und befahl, sie darauf aufzuspießen.«
    Gewiss trägt die Schauergeschichte »Züge propagandistischer Zuspitzung«, erklärt der Würzburger Philologe Wolfgang F. Schwarz, der 2009 eine neue, ausführlich kommentierte Übersetzung der »Historia Langobardorum« herausgegeben hat; an die »These von der Alleinschuld Romildas« mag er nicht glauben. Immerhin hielten sich die Eindringlinge nicht lange in Forum Iulii auf, sondern zogen sich in die Steppe zurück.
    Unter den Gefangenen, die von den Awaren verschleppt worden waren, befanden sich, wie Paulus berichtet, auch fünf Söhne seines Ururgroßvaters Leupchis. Nur einem von ihnen, Loipichis, sei es nach Jahren gelungen, »das Joch der Knechtschaft abzuwerfen« und sich nach Italien durchzuschlagen, »das er als Heimat des Langobardenvolkes in Erinnerung behalten hatte«. Er habe sein Elternhaus verlassen vorgefunden, ohne Dach, »überwuchert von Strauchwerk und Dornengestrüpp«, und es dann, »durch Spenden seiner Verwandten und Freunde unterstützt«, wieder aufgebaut. Dieses Haus, wohl auch Paulus’ Geburtsstätte, soll an der Ostseite der heutigen Piazza Paolo Diacono in Cividale gestanden haben, wo sich jetzt ein Gebäude aus dem 14. Jahrhundert erhebt.
    Auf diesem Platz wurden 1874 bei Straßenbauarbeiten zufällig langobardische Grabstätten gefunden, unter anderem ein Sarkophag aus Kalkstein in Form eines Hauses. Weil auf dem rechten Dach die fragmentarische Inschrift » CISUL « zu entziffern ist, kam die Hypothese auf, dass es sich um den Totenschrein des ersten Herzogs Gisulf handele – was nach Expertenmeinung aber eher zweifelhaft ist. Auf jeden Fall muss der Tote vormals ein Krieger von hohem gesellschaftlichem Rang gewesen sein. Darauf deuten nicht nur Reste goldener Fäden aus Stickereien
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